„Raureif-Zauber“ von Michelle Houts

„Raureif-Zauber“ ist, wie der Buchtitel und das Coverbild schon ver­ra­ten, eine Wintergeschichte. Sie spielt auf der däni­schen Insel Lolland und beginnt am Weihnachtsabend, auf dem Hof der Familie Larsen. Erst ist alles wie immer, nur dass die zwölf­jäh­ri­ge Bettina ihren Großvater schmerz­lich ver­misst, der vor einem Jahr gestor­ben ist, aber dann kommt ein Anruf und am nächs­ten Morgen bre­chen Mutter und Vater auf, er geplant zu einem alten Onkel, sie über­stürzt zur Großmutter, die sich das Bein gebro­chen hat. Zurück auf dem Hof blei­ben Bettina und ihre ein­jäh­ri­ge Schwester Pia.

Die Eltern haben ent­schie­den, dass Bettina groß genug ist, um sich allein um ihre Schwester und die Tiere des Hofes zu küm­mern, zudem sind die Nachbarn infor­miert. Und es gibt noch den Stallwichtel Klakke, der ein Auge auf den Hof und sei­ne Bewohner hat, aber von ihm weiß nie­mand bzw. nie­mand glaubt, dass Wichtel wirk­lich exis­tie­ren – bloß Großvater war davon über­zeugt, und Bettina kann es sich zumin­dest vorstellen.

Am zwei­ten Morgen, an dem die Larsen-Eltern weg sind, glit­zert Lolland in Raureif, was auf der Insel äußerst sel­ten geschieht. Bettina ist ver­zau­bert und erin­nert sich, wie ihr Großvater erzähl­te, dass Raureif etwas Wunderbares sei, magisch gera­de­zu, und dann die aller­selt­sams­ten Dinge geschähen.

Und genau­so kommt es. Denn Klakke ist sau­er, weil die Larsens am Weihnachtsabend ver­ges­sen haben, ihm einen Teller Reispudding in den Stall zu stel­len, ein Wichtelbrauch, an den die Larsens sich bis­her immer gehal­ten haben. Also treibt Klakke etwas Schabernack – und er nimmt die schla­fen­de Pia aus dem Kinderwagen mit sich in den Wald, war­um, weiß er selbst nicht.

Statt den Eltern und den Nachbarn zu sagen, dass Pia ver­schwun­den ist, macht Bettina sich selbst auf die Suche nach ihrer Schwester. Und damit beginnt ein Abenteuer im Wichtelreich, das natür­lich glück­lich endet, für die Menschen wie für die Wichtel, die, so erfährt man, durch­aus auch ihre (Familien-)Probleme haben.

„Raureif-Zauber“ ist ein Buch für die Winter- und Weihnachtszeit, wenn man sich bes­ser als sonst vor­stel­len kann, dass es viel­leicht doch wun­der­sa­me Wesen wie Wichtel gibt, ob in Haus, Stall oder Wald. Die Geschichte hat ihr eige­nes, ruhi­ges Tempo, pas­send zum kal­ten, rau­reif­wei­ßen Winter – und ist span­nend für Kinder ab acht Jahren.

Michelle Houts: Raureif-Zauber
Aus dem Englischen von Dieter Fuchs
Illustrationen von Nina Schmidt
253 Seiten
ab 8 Jahren
Urachhaus 2017
ISBN: 978–3‑8251–7948‑9
17 Euro

Astrid Frank: „Unsichtbare Wunden“

Leichte Kost ist die­ses Buch nicht, aber wie auch, schließ­lich geht es um Mobbing. Um Mobbing, das einen Menschen kaputt­macht, in die­sem Fall Anna. Anna bekommt zu ihrem 13. Geburtstag von ihrem Vater ein Tagebuch, und kei­ne zwei Jahre spä­ter ist sie tot. Das Buch setzt unmit­tel­bar nach Annas Tod ein, wie ihr Umfeld reagiert, wird an ihrem Vater und ihrem bes­ten Freund Anton und durch deren Augen gezeigt. Während Anton Annas Tod erst nicht fas­sen kann, aber hin­nimmt, wird Annas Vater völ­lig aus der Bahn gewor­fen und kann das Geschehene nicht akzep­tie­ren, vor allem will er um jeden Preis wis­sen, wie es dazu kom­men konnte.

Der Schlüssel dazu ist Annas Tagebuch. Nach und nach, im Wechsel von Tagebucheinträgen und Handlung im Jetzt, also in den Tagen und Wochen nach Annas Tod, erfährt man, wie Anna zum Mobbingopfer wur­de. Wie ein Mädchen mit Prinzipien, kei­ne Außenseiterin, in bzw. von ihrer Schulklasse an den Rand gedrängt und fer­tig­ge­macht wird. Wie Mobbing in der Schule aus­se­hen kann, wird deut­lich, aber nicht pla­ka­tiv geschil­dert, eins ergibt das ande­re: eine neue Mitschülerin, die Anna die bes­te Freundin strei­tig macht. Eine neue Klassenlehrerin, die Mobbing nicht erkennt, viel­leicht nicht erken­nen will, die nicht hilft, son­dern alles noch schlim­mer macht. Annas Hilflosigkeit wächst – als sie von außen kei­ne Hilfe bekommt, wird Hoffnungslosigkeit daraus.

Das Buch ist nicht ein­di­men­sio­nal, es gibt nicht den oder die Schuldigen und die ande­ren sind „nicht schul­dig“, wobei die Klassenlehrerin sehr nega­tiv rüber­kommt, eben­so die neue Mitschülerin. Aber das Mobbing-Netz, in dem Anna sich immer tie­fer ver­fängt, wird von vie­len Personen gewebt und gestärkt, und dass nie­mand ver­steht, was da abläuft, dass nie­mand Anna hilft, ist beim Lesen schon har­ter Tobak.

Die Autorin, Astrid Frank, redet nichts schön. Sie schil­dert fes­selnd und emo­tio­nal, wie ein Mädchen zum Mobbingopfer wird. Die Story hat in mei­nen Augen klei­ne Schwächen, aber die fal­len nicht wei­ter ins Gewicht. Wichtig ist, dass die Komplexität von Mobbing gezeigt wird und dass Mobbing kein Spaß ist, nie. Die Autorin sen­si­bi­li­siert mit die­sem Buch, rüt­telt auf. Deswegen ist es nicht nur eine gute Lektüre für Jugendliche, son­dern auch für Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer und natür­lich für Eltern. Gut, dass es das Buch gibt, über Mobbing darf nicht geschwie­gen werden.

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Astrid Frank: Unsichtbare Wunden
288 Seiten
ab 13 Jahren
Urachhaus 2016
ISBN: 978–3‑8251–7966‑3
15,90 Euro