Klüpfel und Kobr: „Schutzpatron“

Letztes Jahr bin ich Kluftinger ver­fal­len. Zuerst war das Cover, das fand ich frisch und anspre­chend. Dann klang der Klappentext nicht schlecht, also Buch aus der Bibliothek aus­ge­lie­hen und bald ange­fan­gen zu lesen. Ich weiß gar nicht  mehr, wel­ches Buch der Reihe es war – die Krimibranche macht es den Lesern ja auch schwer mit die­sen Ein-Wort-Buchtiteln. Wer soll sich denn da zurecht­fin­den, wer soll sich das mer­ken? Und es liegt nicht nur an den Titeln, dass man die Kluftinger-Bücher schnell mal ver­wech­selt, auch die Geschichten ähneln sich. Im Mittelpunkt steht Kluftinger, der Kommissar ohne Vornamen, auf der einen Seite sei­ne Familie, die Erika, der Sohn und des­sen Freundin, auch die Eltern, auf der ande­ren Seite der Job inklu­si­ve Kollegen und den „Bösen“, die es zu fin­den und auf­zu­grei­fen gilt.

Die Fälle haben mich eigent­lich nie vom Hocker geris­sen – die sind nicht lang­wei­lig geschrie­ben, aber am Laufen hält das Ganze doch der Herr Kluftinger mit sei­nem Verhalten und sei­nen Macken. Man soll­te nicht zu vie­le Kluftinger-Bücher zu dicht auf­ein­an­der lesen, sonst wird einem das schnell zu viel: die Hassliebe zu Dr. Langhammer, die Angst davor, Männern zu nah zu kom­men, die Klo‑, Ess‑, Schlaf- und ande­ren Gewohnheiten, das Sandy-Nerven usw. Was Überraschendes wird es von Kluftinger ver­mut­lich auch in Zukunft nicht geben, die bei­den Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr fah­ren mit ihrem Konzept ja bes­tens, erstaun­lich bis bewun­ders­wert, was sie mit ihrer Kluftinger-Welt alles auf die Beine gestellt haben, so gibt es mitt­ler­wei­le ein Kochbuch und ein Lesereisenbuch.

Im „Schutzpatron“ spielt das Essen kei­ne so gro­ße Rolle, Kluftinger hat Pech und bekommt z. B. bei einem Kurztripp nach Österreich kei­ne Wiener Leckereien vor­ge­setzt, son­dern muss bei einem Kollegen über­nach­ten, der ein Messie ist und nur ekli­ge Sachen im Kühlschrank hat. Das ist auch so über­trie­ben geschil­dert, dass es fast wie­der wahr sein muss. Der Fall selbst: eine alte, unbe­lieb­te Frau wird ermor­det, ein Kunstschatz kehrt nach Altusried (Kluftingers Heimatdorf) zurück und es gibt Hinweise, dass eine hoch­pro­fes­sio­nel­le Truppe unter Leitung des „Schutzpatrons“ ihn steh­len will, außer­dem ist Kluftingers Auto geklaut wor­den, was ihm so pein­lich ist, dass er es nie­man­dem erzählt.

Hat wie­der Spaß gemacht, das Buch zu lesen, auch wenn das Übertriebene, Karikaturhafte manch­mal doch nervt. Aber ein Mal im Jahr ist das okay und gute Unterhaltung. Natürlich wird es wei­ter­ge­hen, und Kluftinger wird irgend­wann ein­mal wie­der auf den Schutzpatron tref­fen, das ver­kli­ckern Klüpfel und Kobr den Lesern über­aus deut­lich. Na denn, bis bald!

Ehrlinspiels zweiter Fall: „Mein wirst du bleiben“ von Petra Busch

Es ist nicht gera­de leicht, über einen Krimi zu schrei­ben, ohne zu viel von der Geschichte, der Spur zum Mörder zu ver­ra­ten. Ich ver­suchs trotz­dem mal wie­der. Und fan­ge bei Petra Busch an. Sie ist Texterin und seit 2010 auch Autorin, in jenem Jahr erschien ihr ers­tes Buch, „Schweig still, mein Kind“ – ein erfolg­rei­ches Debüt, für das Petra Busch den Friedrich-Glauser-Preis 2011 erhielt. Sie hat dann gleich wei­ter­ge­schrie­ben, und ein Jahr spä­ter gab es den zwei­ten Fall für Hauptkommissar Moritz Ehrlinspiel: „Mein wirst du blei­ben“.

Das Cover zeigt einen Schlüsselbund, ein auf­schluss­rei­ches Motiv, man mag mir das plum­pe Wortspiel ver­zei­hen. Im Buch kom­men durch­aus hand­fes­te Schlüssel vor, aber vor allem wer­den dem Leser Schlüssel mit Gänsefüßchen – „Schlüssel“ – gereicht, die ihm Zutritt ver­schaf­fen zu den Köpfen der Figuren. Da wäre Moritz Ehrlinspiel, der schon im ers­ten Buch frisch und tat­kräf­tig rüber­kam und sich im zwei­ten etwas viel­schich­ti­ger zeigt, sehr schön zu lesen sein Tanz mit dem Vulkan, also mit der Frau, die er viel­leicht liebt. Da Spannungen für Spannung sor­gen, gibt es Krach mit dem Freund und Kollegen Freitag, Zoff mit einem fau­len Sack von Kollegen, Reibereien mit dem arro­gan­ten Pathologen – und dazu einen zunächst zähen Fall, der Moritz Ehrlinspiel an die Nerven geht, weil die Ermittler ein­fach kei­nen Hinweis dar­auf fin­den, dass das ers­te Mordopfer über­haupt Feinde gehabt haben könn­te. Kein Mord ohne Mörder, kei­ne Lösung ohne Hinweise …

Wir schau­en auch in die Köpfe einer dicken, unglück­li­chen Frau, die sich ver­folgt fühlt, eines Pastors, der in Versuchung gerät, zwei­er Menschen, die nicht die sind, die sie zu sein schei­nen. Unter ande­rem. Und ein biss­chen Katzenseele gibt es auch, denn Ehrlinspiels Kater Bentley und Bugatti wer­den wei­ter­hin exqui­sit bekocht und zei­gen ihre Schrullen.

Die Beschreibungen der Polizeiarbeit und von Obduktionen zeu­gen von sorg­fäl­ti­ger Recherche, das liest sich wie mit­er­lebt und ist es wohl zum Teil, auf jeden Fall hat die Autorin jedoch Experten zur Seite gehabt, die sie berie­ten, wofür sie ihnen im Anhang auch dankt. So fin­det Petra Busch zum Beispiel für eine Obduktion kla­re Worte, sie bleibt nicht vage und kann auf Gemeinplätze verzichten.

Atemlos ist die Geschichte nicht, es heißt auf dem Cover ganz rich­tig „Kriminalroman“. Die Handlung und die Figuren haben ordent­lich Raum, und wenn man mit­ten­drin ist und sich immer wei­ter vor­an­liest, vor­an­frisst wie eine hung­ri­ge Raupe, bedau­ert man schon ein wenig, dass das Buch ja auch ein­mal enden wird, man sieht es deut­lich, denn man hat ein Buch aus Papier in der Hand und kein E‑Book auf dem Reader.

Zu erwäh­nen wäre noch, dass im Zentrum des Falls ein Frauenpaar steht, Mutter und Tochter. Die eine hilf­reich und hif­le­be­dürf­tig zugleich, die ande­re tüch­tig und auf­op­fernd. Im Haus, in dem die bei­den Frauen sich eine Wohnung tei­len, geschieht ein Mord, Auftritt Polizei und Moritz Ehrlinspiel. Über 400 Seiten webt die Autorin das Erzählnetz, bie­tet Handlung, lie­fert Indizien, führt aufs Glatteis. Und dies auch in ihrem zwei­ten Krimi sprach­lich sowie hand­werk­lich sehr gekonnt und fes­selnd. Da ver­zeiht man dann gern eine leicht kit­schi­ge Szene, die wahr­schein­lich sowie­so iro­nisch gemeint war. Schätze ich. Also, Warten auf Band drei – der hof­fent­lich noch in die­sem Jahr kommt?

Petra Busch
Mein wirst du bleiben
Knaur 2011
448 Seiten
9,99 Euro
ISBN: 978–3‑426–50792‑6

Ein Debüt: „In Sachen Joseph“ von Husch Josten

Schwer zu sagen, was ich von die­sem Buch hal­te. Langweilig ist es nicht. Aber so rich­tig gefan­gen hat es mich auch nicht. Zum einen ist es recht kurz, ich hab es schnell gele­sen, plötz­lich war Schluss und ich über­rascht – dass ich schon bei der letz­ten Seite ange­kom­men war. Zum andern war der Stil nicht so ganz mei­ne Sache. Über das Buch heißt es auf dem Cover: „Ein in sei­ner Klugheit unge­wöhn­li­ches Debüt, das von Liebe und Freundschaft, von Wahrheit und Wahn erzählt“ – das ist nie­man­dem zuge­schrie­ben, so hat es wohl jemand aus dem Verlag gesagt. Und sol­che Vorschusslorbeeren machen mich eher miss­trau­isch. Doch der Satz passt zum Buch, das in Sphären will, für die den meis­ten Menschen, auch Autoren, die Worte feh­len. Besser gesagt: die rich­ti­gen Worte. Die Worte, die pas­sen, die nicht falsch, geziert, über­trie­ben, hohl, gewollt usw. klingen.

Erzählt wird in einem Jetzt, wir beglei­ten Helen, die wohl schön ist (so sagen ande­re) und als Bibliothekarin arbei­tet. Der wich­tigs­te Mensch in ihrem Leben ist Joseph, ihr Pendant, ihr Gegenstück. Seit einem trau­ma­ti­schen Erlebnis im Kindergarten (aua! Wenn man sich die Szene vor­stellt …) beglei­tet er sie, nie ist sie lan­ge ohne ihn. Doch Helen ist an einem Punkt ange­kom­men, an dem sie sich von Joseph tren­nen muss. Husch Jostens Roman ist also die Geschichte einer Ablösung, viel­leicht eines Endes und eines Neuanfangs, so genau will ich das hier nicht schrei­ben, lest es bes­ser selbst!

Die Beziehung zum alten Vater, zu Josephs Eltern, zur Kollegin, zur Schulfreundin, zu einem Fernsehkoch, der im Grunde kein Fremder ist – es spielt eini­ges rein, und die Autorin und das Buch blei­ben gelas­sen, sin­nie­ren, Helen ist mehr im Kopf als mit dem Körper unter­wegs. Eine Szene moch­te ich sehr: Helen bekommt von ihrem Verehrer aber­wit­zig vie­le Rosenköpfe, also Rosen ohne Stiele, und der Mann droht ihr, jeden Tag wel­che zu sen­den, bis sie end­lich mit ihm aus­ge­he. Helen stellt sich die Wohnung vor, die mit Rosenköpfen voll­ge­stopft ist:

„Es riecht, es duf­tet so uner­träg­lich nach Rosen, dass man sich ein Taschentuch um Mund und Nase bin­den und sich den Weg mit einem Buschmesser durch den Urrosenwald pflü­gen muss. Die Zugasse wird gesperrt, Sirenen geben Schadstoffalarm wegen unkla­rer Geruchsentwicklung über der Stadt. Im Fernsehen Bilder von Feuerwehrmännern in schwe­rer Montur auf Leitern. Am Ende sind sie alle tot. Mutter, Vater, Tochter. Erstickt. Eine bota­ni­sche Tragödie.“

Ich will doch nur spie­len, so les ich das, und ich mag es. Es ist schwer, die Balance zu fin­den und zuver­läs­sig abzu­schät­zen, wo es noch gut ist und wo es zu viel ist, das gilt für die Sphären des Fast-Unsagbaren, sie­he oben. Ein wenig unzu­frie­den lässt mich das Ende zurück, auf ein­mal wird alles erzählt und gesagt und gelöst, und das war es dann. Ich bin sicher, dass man aus dem Buch eini­ges mit­neh­men kann, ich hab mich stre­cken­wei­se amü­siert im posi­ti­ven Sinne und es mal wie­der genos­sen, eine ande­re Welt ken­nen­zu­ler­nen. Wie gut, dass es Bücher gibt und Autoren, die Menschen und ihre Lebensumwelt schil­dern kön­nen, sodass es nach­voll­zieh­bar wird. Martha, Josephs Mutter, bleibt im Gedächtnis, sie hat ihr Leben nach dem Tod ihres Mannes grund­le­gend umge­krem­pelt und ist am Ende nicht die unmüt­ter­li­che Frau, als die sie zunächst erscheint.

Ich hab die­sem Buch, „In Sachen Joseph“, gern mei­ne Zeit gege­ben. Und bin gespannt auf das zwei­te Buch von Husch Josten.

Husch Josten
In Sachen Joseph
Berlin University Press
160 Seiten
19,90 Euro
ISBN 978–3‑86280–001‑8