Dieses kleine Buch hat es in sich: Es ist eine Einführung in die Psychoanalyse, ein Augenöffner, Neugierigmacher und, wie der Untertitel schon sagt, ein „Ratgeber für Hilfesuchende“. Es kam für mich wie gerufen, da ich zum Thema Psychoanalyse über das übliche Halbwissen verfüge, bisschen Freud hier, etwas Über-Ich dort, Vorurteile hin, Vermutungen her. Das wollte ich ändern. Ende Dezember hatte ich Charlotte Roches „Schoßgebete“ gelesen, also vor „Psychoanalyse tut gut“. Das passte schon mal perfekt, merkte ich, denn Roches Heldin geht zur Psychoanalyse und vieles, was Roche schildert, tauchte in Dunja Voos‘ Buch wieder auf, es gab so manche Aha-Momente.
Man könnte sagen, Charlotte Roche bricht mit ihrem zweiten Roman die Lanze für die Psychoanalyse, und Dunja Voos tut dies ebenfalls, natürlich auf eine gänzlich andere Art. Ganz praktisch und mit Worten, die für Laien nicht nur verständlich sind, sondern sich auch gut lesen lassen, zeigt sie die Psychoanalyse als eine Therapieform, die nicht in unsere schnelle Zeit zu passen scheint, für viele aber doch genau die richtige sein kann.
Das Buch hat rund 170 Seiten und ist in zwei Teile untergliedert: „Die psychoanalytische Therapie“ und „Häufige Diagnosen“. Dafür gibt es schon mal einen Pluspunkt: kein theoretischer Ballast, kein Versuch, erst die Geschichte der Psychoanalyse runterzubeten und die Tradition, die Moderne, kurz, alle Theorie zu erklären. Sondern: rein in die Praxis, zu den Fragen, die Herr Müller mit der Depression und Frau Kunz mit der Zwangsstörung stellen würden – was ist Psychoanalyse, für wen kommt sie infrage, was passiert dabei usw.
Zuerst einmal bringt Dunja Voos Klarheit in die verwirrende Welt der Psychoberufe: Der Neurologe behandelt krankhafte Veränderungen der Nerven und des Gehirns, er ist die richtige Anlaufstelle zum Beispiel für Schlaganfallpatienten. Der Psychiater sieht als Ursache seelischen Leids primär Stoffwechselstörungen und setzt früh Medikamente ein, das kann beispielsweise für Patienten mit Halluzinationen oder schweren Alkoholproblemen passen. Die Verhaltenstherapie ist zumeist zeitlich begrenzt, das heißt, sie läuft über einen kürzeren Zeitraum, der Therapeut kümmert sich hierbei um Symptome – während der Psychoanalytiker mittels Gesprächen den Ursachen auf den Grund gehen möchte, was länger dauert, viele Wochen, manchmal Jahre.
Und Zeit hat der Analytiker für den Patienten – immer zu einem festen Termin, genau 50 Minuten lang, ohne Störung durch das Telefon, und in der Regel sind keine anderen Patienten in der Praxis. Im ersten Teil des Buches erzählt Dunja Voos also, wie eine Therpie abläuft (erste Stunde, die berühmt-berüchtigte Couch, Beziehung zwischen Patient und Therapeut usw.), und geht auf Ängste, Vorurteile und Probleme im Zusammenhang mit der Psychoanalyse ein.
Um ein paar Hinweise herauszupicken: Man kann sich einen Psychoanalytiker empfehlen lassen, sollte aber möglichst nicht denselben wie Freunde und Verwandte konsultieren, denn darunter wird entweder die Freundschaft oder die Therapie leiden. Der Psychoanalytiker macht in seiner Ausbildung selbst als Patient eine Psychoanalyse durch, die sogenannte Lehranalyse. Er weiß also, wie es ist, auf der Couch zu liegen (oder auf dem Stuhl zu sitzen). Die Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten bezeichnet Dunja Voos als eine Abhängigkeit, vergleichbar der des Kindes von der Mutter. Sie basiert auf Vertrauen. Doch die Abhängigkeit sei der Weg zur Unabhängigkeit, zu einem besseren Leben als vorher, in dem der Therapeut dann keine Rolle mehr spielt, spielen muss. Um Missbrauch vorzubeugen, gibt es die sogenannte „Abstinenzregel“: außer dem Händeschütteln zur Begrüßung und zum Abschied darf es keine Berührungen geben, entsprechend auch keine Beziehung außerhalb der Praxis des Analytikers.
Auf die Frage: Wie sag ich meinem Chef, meinem Partner, wem auch immer, dass ich eine Psychoanalyse mache, geht die Autorin ebenfalls ein. Aus gutem Grund:
In unserer strengen Gesellschaft, wo man jung, strahlend und funktionierend sein muss, ist eine psychische Störung immer noch ein Makel — es sei denn, sie ist durch den allgemein anerkannten Stress entstanden. Menschen, die am Burnout-Syndrom leiden, sind doch im Allgemeinen akzeptiert. Schließlich sind sie ‚ausgebrannt‘, weil sie sich über alle Maßen für ihren Beruf eingesetzt haben. (Seite 82)
Man liest zwar überall, dass immer mehr Menschen psychische Probleme haben, und das bekommen die meisten auch in ihrem eigenen Umfeld oder bei sich selbst mit. Aber deswegen zum Arzt gehen? Eine Psychoanalyse in Betracht ziehen? Ich schätze, das geschieht eher selten. Welcher Hausarzt hat heute noch Zeit, sich um die Psyche seiner Patienten zu kümmern, wenn es nicht gerade um Depression, Burnout, ADHS oder etwas Ähnliches geht, das „greifbar“ und nicht zu ignorieren ist? Dann wird eine Diagnose gestellt und behandelt, oft nur mit Medikamenten. Doch Diagnosen sind nicht das A und O und das Ende vom Lied, so Dunja Voos:
Wenn man sich an den Diagnosenamen festhält, kommt man auf ein Karussell, das schwindelerregend ist. Experten streiten sich untereinander wie die Kesselflicker um den richtigen Namen und sehen nicht, dass da ein Mensch sitzt, der nur eines möchte: dass ihm endlich geholfen wird. Viele Diagnosen sind ohne Zweifel Modeerscheinungen. (Seite 39)
Als Beispiel hierfür nennt die Autorin ADHS – hier würden ganz verschiedene Verläufe in einen Topf geworfen, unter einem Namen versammelt. Dunja Voos vergleicht das mit dem Weinen: Hier sind die Symptome gleich, aber die Ursachen können gänzlich unterschiedlich sein: Man kann ohne Grund, aus Freude, vor Angst, aus Wut, vor Scham, vor Schmerz usw. weinen. Es genüge also nicht, nur ADHS zu diagnostizieren und zu behandeln, man müsse nach den Ursachen forschen und sie bearbeiten. Und ein Weg, dies zu tun, sei die Psychoanalyse.
Im zweiten Teil des Buches – zu den „häufigen Diagnosen“ – geht die Autorin unter anderem auf Neurose, Psychose, Depression, Burnout, Angst und Borderline ein. Es fallen hier auch einige Fachbegriffe wie hohes und niedriges Strukturniveau, Repräsentanzen, es ist vom Ich, Es und Über-Ich die Rede, die orale, anale und ödipale Phase werden am Rande erwähnt. Doch keine Sorge, es bleibt verständlich und leserfreundlich – und sehr aufschlussreich! Dieses Buch kann Bedenken nehmen und den Rücken stärken, wenn man für sich über eine Psychoanalyse nachdenkt. Nach dem Lesen ist diese Therapieform kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Dunja Voos vermittelt: Psychoanalyse kann helfen, sie tut gut, kann genau das Richtige sein – denn der Therapeut hört zu, baut eine Beziehung auf, ist verlässlich und eine Person, die eine Heilung oder eine Verbesserung begleiten kann. Die Autorin versäumt aber auch nicht zu sagen, dass Psychoanalyse viel kann, jedoch kein Allheilmittel ist, natürlich hat sie ihre Grenzen.
Im Anhang finden sich noch weiterführende Adressen (Bundesärztekammer, psychoanalytische Vereinigungen usw.), die Literaturliste sowie eine Übersicht über „Studien zur Wirksamkeit psychoanalytischer Therapien“.
Fazit: „Psychoanalyse tut gut“ ist ein äußerst empfehlenswertes Buch, mit dem Dunja Voos auf eine sehr menschliche, kompetente und auch kurzweilige Art über die Psychoanalyse informiert – es ist eine gute Wahl, egal ob man sich einfach nur schlau machen will oder beabsichtigt, selbst eine Psychoanalyse zu beginnen.
Dunja Voos
Psychoanalyse tut gut. Ein Ratgeber für Hilfesuchende
173 Seiten
Psychosozial-Verlag 2011
ISBN: 9783837921458
16,90 EUR