Dieses Buch hat mich beeindruckt und es war mir ein Vergnügen, es zu lesen. Der Titel – „Eine Spur von Glück. Lesende Frauen in der Geschichte“ – hat mich gleich angesprochen, ebenso das schöne Coverbild. Als ich am Anfang den Klappentext überflog, war ich allerdings kurz irritiert: Die Autorin verfolgt anhand von Bildern die Spuren lesender Frauen in der Geschichte – ging es also vor allem um die Bilder und nicht so sehr um lesende Frauen? Natürlich nicht, die zehn Bilder, die die Autorin ausgewählt hat, sind eine Art Sprungbrett, um in die jeweilige Zeit zu tauchen. Das erste Bild befindet sich auf einer attischen Vase aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, das zehnte und letzte Bild ist Henri Fantin-Latours „Die Lesende“ von 1861. Jedem Bild ist ein Kapitel gewidmet – zum Coverbild von Asta Norregaard, „Lesende Frau“ von 1889, gibt es leider kein Kapitel.
Trotzdem weiß die Leserin, der Leser einiges über Norregaards Bild, wenn sie oder er das Kapitel zu Fantin-Latours Bild gelesen hat, da zwischen ihnen nur achtundzwanzig Jahre liegen. Die Autorin setzt sich mit dem jeweiligen Bild – dem Motiv und dem, was zur Entstehung und zu Urheber oder Urheberin bekannt ist – auseinander, vor allem schaut sie aber auch auf die Zeit, in der es geschaffen wurde. Am Ende jedes Kapitels steht ein umfangreiches Literaturverzeichnis, das zum einen belegt, was die Autorin schreibt, und zum andern dazu einlädt, weiterzulesen. Nicht alles lässt sich verifizieren, manchmal bleibt es auch bei Fragen und Annäherungen, denn es liegen nun mal beispielsweise mehr als 2000 Jahre zwischen uns und der attischen Vase aus dem ersten Kapitel, und oft wurden im Laufe der Jahrhunderte gerade Lebenszeugnisse von Frauen zerstört oder gingen verloren. Wir wissen zudem, dass die Geschichtsschreibung männlich ist.
Das ist das große Verdienst dieses Buches: Die Autorin macht damit Frauen in der Geschichte sichtbar. Sie zeigt, dass Frauen durch die Jahrhunderte nicht nur im privaten, sondern gerade auch im gesellschaftlichen Bereich eine wesentliche Rolle spielten. Sie haben gelesen, sie haben geschrieben, sie haben Berufe ausgeübt, sie haben mitgestaltet. Natürlich ist es keine umfassende Geschichte der Frauen. Das ist weder der Ansatz des Buches noch reichen dafür rund 250 Seiten. Aber die Autorin gewährt etliche Einblicke, nennt Namen und Verdienst von Philosophinnen, Schriftstellerinnen, Malerinnen wie Themistokleia, Christine de Pizan, Sofonisba Anguissola, nähert sich der Lebenswirklichkeit von Frauen in der Geschichte an. Das ist informativ, fesselnd, spannend, manchmal auch erschütternd, es macht neugierig und schärft das Bewusstsein dafür, dass Geschichtsschreibung nicht geschlechtsneutral ist.
Die Autorin hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin an Projekten zur Frauengeschichte an der Universität Bonn gearbeitet und ein Buch geschrieben, dem man ihren fachlichen Hintergrund anmerkt: Es ist ruhig, überlegt und lässt sich eher nicht so nebenbei lesen. Man sollte sich schon Zeit dafür nehmen und Ruhe haben, wie „Die Lesende“ von Asta Norregaard, die in ihre Lektüre versunken am Tisch sitzt. Das Äußere des Buchs passt zum Inhalt, es hat einen festen Einband mit Schutzumschlag, das Papier hat eine bessere Qualität, als man sie jetzt zumeist gewohnt ist, es fasst sich gut an. Am Anfang jedes Kapitels ist auf einer Seite für sich das Bild zu sehen, um das es geht. Eigentlich schade, dass es nur zehn sind, es hätten gerne noch mehr sein können.
Monika Hinterberger: Eine Spur von Glück. Lesende Frauen in der Geschichte
256 Seiten
2020 Wallstein Verlag
ISBN 978–3‑8353–3799‑2
20 Euro