Lesebühnen gibt es eher (oder: nur) in größeren Städten – kein Wunder, liest doch eine Gruppe Autoren regelmäßig am selben Ort. In viel zu vielen Kleinstädten kommen ja schon nur ein paar Leutchen, wenn sich ein Mal in 10 Jahren ein Bestsellerautor sehen lässt. Oder ist das jetzt der falsche Denkansatz? Käme es Kleinstadtmenschen entgegen, wenn sie immer am 1. eines Monats eine feste Verabredung mit einer Lesebühne hätten? Wer weiß. Jedenfalls gibt es seit Januar 2005 in Dresden eine Lesebühne mit dem schönen Namen Sax Royal. Zu Sax Royal gehören fünf Männer in den 30ern, ihr Stammhaus ist die Scheune in der Dresdner Neustadt. Im Scheunecafé kann man übrigens vorzüglich brunchen und Indisch essen, aber das nur nebenbei.
Es musste natürlich die Neustadt sein, denn dort gibt es auch fünf Jahre später Häuser, die sich neben den barocken Bauten der Dresdner Altstadt so seltsam ausmachen würden wie eine alte, kleine Kirche neben einem Wolkenkratzer. Auf der schönen rot-gelben Seite von Sax Royal erfährt die geneigte Leserin – und der Leser auch –, dass die Lesebühne, „eine neue Form der literarischen Subkultur“, in den 90ern in Berlin entstand. Eine Autorengruppe präsentiert ihre neuesten Texte live dem Publikum; die Kurzgeschichten, Songs oder Gedichte drehen sich zumeist um Alltagsthemen.
Lesebühnen gehen dankenswerterweise auch mal auf Reisen, und so verschlug es Sax Royal im Sommer nach Schwarzenberg. In der Galerie Rademann trugen vier der fünf Autoren fast gänzlich in Schwarz gewandet der Reihe nach abwechselnd Lyrik und Prosa vor. Mit dabei waren: Michael Bittner (Dresdner, gebürtiger Görlitzer, Literaturwissenschaftler, Autor), Roman Israel (Dresdner, gebürtiger Löbauer, Autor), Max Rademann (Dresdner, gebürtiger Schwarzenberger, Autor, Zeichner, Musiker) sowie Stefan Seyfarth (Dresdner, gebürtiger Zeulenrodaer, Kellner, Poet). Es fehlte: Julius Fischer (Leipziger, gebürtiger Geraer, Slam-Poet, Kabarettist).
Was den Zuhörern ohne Lesebühnenerfahrung zuerst aufgefallen sein dürfte war, dass der jeweils Vortragende nicht sitzen blieb, sondern sich erhob, zum Mikro ging und ans Publikum gewandt zu lesen begann. Die Texte wirken auch ohne die Stimme der Autoren, aber wenn man die Stimmen kennt, fehlt einem beim Lesen etwas beziehungsweise man hat die prägnanteren Stimmen im Hinterkopf. Gut also, dass dem Buch „Sax Royal. Eine Lesebühne rechnet ab“ eine CD beiliegt – 71 Minuten live aus der Scheune.
Das Buch: rund 120 Seiten, wohlverpackt, handliches Format. Die Texte sind nicht zu lang und ziemlich vielfältig, was bei fünf Autoren keine Überraschung ist. Stefan Seyfarth und Roman Israel haben einen sehr eigenen Stil, Sound, könnte man sagen, ihre Texte sind leicht zuzuorden. Seyfarth mit einer sehr direkten Sprache, simpel fast, keine Schnörkel, dem Leben und den Leuten aufs Maul geschaut. Israels Texte wirken, als hätten sie einen Milchglasfilter eingebaut – es passiert nichts Ungewöhnliches, aber die Sprache hebt die Geschichten in eine Parallelwelt, alles wirkt leicht abstrakt, verfremdet.
In den Texten geht es weder um Studium und Beruf noch um Familie, sondern um: Rumschlafen, Rauchen, Kindheit, Frauen, mehr oder weniger berühmte Mitmenschen, Schlagzeilenstoff wie Nacktscanner und Amoklauf. Und so weiter. Vielleicht liegt es am Alter der Autoren – oder an der jahrelangen Übung live vor dem Scheune-Publikum –, dass die Texte beziehungweise ihre Helden so abgeklärt wirken. Die Typen sind sogar cool, wenn sie (wegen einer Frau) am Boden sind:
Wo war unser Schwanzdenken geblieben? Wir benahmen uns wie zwei Schüler der Eunuchenschule. Ich fühlte mich, als hätte ich Gehirngrippe. Noch ein Cognac. Aber auch dieser dritte wollte nichts daran ändern, dass es sich anfühlte, als ließe man mir die Luft raus. (Max Rademann, Wie zwei Monchhichis, Seite 112)
Sax Royal und der Sex. Zitat gefällig? Bitte:
Das sind die Kompromisse beim Sex. Da wird schon mal mit dem Salzstreuer im Rücken gebumst oder mit Tampon, weil gerade in dem Moment hätte das nicht gepasst, das anzusprechen. Und die einzige Möglichkeit, sich von so einem Hodenschmerz zu befreien, wäre ja, sich durch Erguss Linderung zu verschaffen. Wie paradox. Damit man danach wieder romantisch sein kann. (Julius Fischer, Aspekte der Tiefe II – Näher rücken. Schweigen, Seite 96)
Abgeklärt – das gilt nicht für Roman Israels Texte. Die haben eine Wucht und wollen nicht cool klingen.
Es ist immer dasselbe. Mann findet Frau. Ein paar Wochen, ein paar Monate, Jahre. Ein Kind. Ein Haus. Eine Liebe. Erinnern, vergessen, töten. Und dann sucht man wieder. Alles von vorn. Und jetzt sage mir mal einer, warum das nicht nur mir so geht! Weil die Menschen dumm sind, unglaublich dumm. Und weil sie einem immer einreden, es gäbe da noch etwas Besseres. (Roman Israel, Die Wahrheit über das Märchen von der Wahrheit, Seite 80)
Um zum Schluss zu kommen: Ich empfehle das Buch. Es liest sich gut, ist kurzweilig, vielseitig, je nach Geschmack wird man seine Favoriten finden. Und das Beste ist und bleibt, dass man sich die Stimmen der Autoren auf CD anhören kann. Wobei man sie schon mal erlebt haben sollte – das geht jeden zweiten Donnerstag im Monat, in der Scheune, in Dresden. Na denn!
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Sax Royal. Eine Lesebühne rechnet ab
Stefan Seyfarth, Julius Fischer, Roman Israel, Michael Bittner, Max Rademann
Verlag Voland Quist
ISBN: 978–3‑938424–49‑0
März 2010
EUR 13,90