Ich bin ja im Texttreff. Und der Texttreff hat neulich seinen ersten Schreibwettbewerb veranstaltet. Ich war eine der zwei Organisatorinnen (die zweite war Daniela) und hab auch was geschrieben. Hier ist mein Text:
Über 38!
Manche Bücher nimmt man mit den Schlaf. So ging es mir neulich mit Sabine Asgodoms „Das Leben ist zu kurz für Knäckebrot“. Ich hatte einen dieser vitalen Träume. Ich träumte, dass Beth den Karl unter ihrem Überbusen begrub, weil der böse Alte ihre Mutti verhohnepiepelt hatte. Dann wurde Beth in die Regierung gewählt, und zusammen mit Crystal brachte sie ein Gesetz auf den Weg, das die Maße für Models neu festlegte. Unter Größe 38 ging nichts mehr, zu dürre Mädels mussten sich mühsam mästen, wenn sie wieder auf den Laufsteg wollten. Unter den aufgerissenen Augen der Öffentlichkeit spielten sich irre Szenen ab, die live im Abendfernsehen übertragen und auf YouTube zu Rennern wurden: Kate bei McDoof, wie sie mit Tränen in den Augen Burger in sich reinstopfte und beteuerte, dass sie für die Idealmaße alles, aber auch alles tun würde.
Die dicken Muttis rieben sich erstaunt die Augen: Was die Politik doch alles konnte! Erst verbot sie das Rauchen in Gaststätten, dann Magertussis im TV. Denn die Politik beließ es nicht bei der Mode, sondern reformierte auch den BMI und verbot dürre Haken in Fernsehen, Kino und Print. Dass wir uns richtig verstehen: Unter Größe 38 ging nichts! Die Naturdünnen, die nie hungern, diäten und sich selbst kasteien mussten, hatten halt Pech. Die durften zusammen mit ihren Hungergenossinnen zu Hause bleiben und zugucken, wie ihre Kolleginnen ab Größe 38 kometenhafte Aufstiege hinlegten. Was in den USA begann, breitete sich wie eine Epidemie aus. Deutschland war eines der ersten Länder, die das Über-38-Gesetz verabschiedeten.
Die schwulen Modemänner und die nichtschwulen Modekritikerinnen rauften sich das Haupthaar und schmissen die Flinte ins Korn. Nach einer Schmollsession kamen sie aber wieder und konnten auf einmal Mode für Normale machen beziehungsweise darüber schreiben, ohne die Wörter „fett“ und „gewöhnlich“ zu verwenden. Ein Kleid für 10.000 Euro kaufte sich Erna Wackernagel zwar immer noch nicht, aber zumindest konnte sie sich jetzt die sauteuren Klamotten an den eigenen Leib fantasieren.
Die öffentliche Dürre war also vorbei, die Dicken der Welt atmeten auf: Sie waren nicht mehr die Peinlichen, die Hässlichen, die Unnormalen, sie waren okay! Mütter mussten ihren Töchtern nicht mehr einimpfen, dass sie zu dick wären und Diät halten sollten. Dicke Managerinnen hatten keinen Dünnseinstress mehr und nahmen quasi nebenbei ab. Junge Mädels mussten sich nicht mehr dünnkotzen, denn im TV sahen sie richtige Frauen. Öffentliche Männer und Frauen, die immer noch über Dicke ablästerten, wurden aus den Medien verbannt. Kein Hahn krähte mehr nach ihnen.
Da dick nun nicht mehr doof beziehungsweise das neue Schwarz war, erwarteten die üblichen Unker, dass die Deutschen endgültig verfetten und die Krankenkassen sprengen würden. Das Gegenteil war der Fall. Denn endlich konnten alle aufatmen, deren Leben sich nur noch ums Essen (oder Nichtessen) gedreht hatte: Sie aßen einfach, und gut! Die Kosten durch Dicke sanken, die Kosten durch kranke Dünne, die eigentlich dick geplant waren (von Gott oder dem Kosmos) ebenfalls. Das hatte die Politik doch gut gemacht, waren sich alle – bis auf die neidischen Dürren – einig.
Die Lebensmittelindustrie war auch nicht so happy. Sie hatte das Projekt zuerst unterstützt, da sie steigende Umsätze durch hemmungsloses Essen und ebensolchen Konsum erwartet hatte. Doch der Schuss ging nach hinten los. Die Deutschen, die nicht mehr ständig ans Essen dachten, aßen eher weniger als mehr und hatten nebenbei noch Zeit für vernünftige Sachen. Die Diätindustrie ging pleite, da Frauen von nun an auf die leeren Versprechungen von Wunderwucher und Co. pfiffen.
Leute, das Aufwachen war hart. (Nur ein verdammter Traum!) In der realen Welt fühlen sich Dicke wie Parias, und die paffenden Politiker (die selbst oft genug fett sind) wollen dünne Menschen, weil die – angeblich – die Krankenkassen weniger belasten. Ich träum weiter!