Als Leihgabe kam Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ zu mir, ich war neugierig. Das Cover ist schön, und nachdem ich das Buch jetzt gelesen habe, finde ich, dass es wunderbar passt. Ausschnitte von Häusern und Bäumen einer Straße sind zu sehen, auch Tauben und die Sonne, es ist, als hätte jemand direkt ins Licht geknipst, und nun ist alles schattig-dunkel. An schönsten und hellsten Sonnentagen können solche Bilder entstehen, und auch über die Zeit, um die es im Buch geht, gibt es lustige, lichte Bücher. „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ist nicht lustig, ich finde es auch nicht besonders humorvoll, und wenn das tausendmal als Kritikermeinung auf dem Cover steht. Es ist jedoch auch kein trauriges, depressives, dunkles Buch, obwohl es das durchaus hätte sein können. Es ist die Geschichte einer Familie, vier Generationen: Charlotte und Wilhelm und Nadjeshda Iwanowna; Kurt und Irina; Alexander und Markus. Und dazu noch Gefährten, Freunde, Geliebte, doch die laufen nebenher.
Die Geschichte spielt in verschiedenen Jahren, 1952, 1961, 2001 usw., und wiederholt am 1. Oktober 1989, aus der Sicht verschiedener Personen erzählt. An diesem 1. Oktober wird Wilhelm neunzig, und die Familie trifft sich mehr oder weniger vollzählig in seinem und Charlottes Haus. Immer wieder dieser Tag, ist das nicht langweilig? Nein, ist es nicht, und das gilt für das ganze Buch, das so wenig reißerisch und großpolitisch ist wie die Familie, mit der es leider den Bach runtergeht: Einsamkeit, Heimatlosigkeit, Demenz, Alkolholismus, Krebs.
Das Buch beginnt 2001 mit Alexander. Er ist unheilbar krank, sein Vater dement, seine Großeltern und die Mutter sind tot. Zu seinem Sohn Markus hat er kaum Kontakt. Er läuft davon oder holt ein bisschen Leben nach, vielleicht beides, indem er nach Mexiko fliegt, auf den Spuren seiner Großmutter Charlotte. Die Toten sind in den nächsten Kapiteln lebendig, und auch ein Staat, den es längst nicht mehr gibt, die DDR. Es sind Momentaufnahmen, Stücke aus einem Alltag, ein verhaltener Ton im Grunde, nicht überschäumend, weder bei Freude noch bei Verzweiflung. Vielleicht tauchte deshalb dieses „humorvoll“ auf, denn es ist auch ein Kunststück, bei allem Elend eine gelassene, fast heitere Stimmung zu erschreiben. Es ist wie ein Rückblick mit ein wenig Sehnsucht und dem Wissen, dass es kein Zurück gibt, dass die Menschen und die Zeiten vorbei sind. Es ist auch ein Buch der Söhne, der Beziehungen zwischen Großeltern und Enkel, Mutter und Sohn, Vater und Sohn, es gibt nur eine Mutter-Tochter-Konstellation. Und es gibt keine festgetackerten Charaktere, nichts Plakatives, das ist alles sehr offen, lebendig und echt. Hat mir gefallen, das Buch, aber so richtig greifbar ist es für mich nicht geworden, vielleicht sind es zu viele Personen, in deren Köpfe und Leben man hineinschaut, vielleicht ist der Autor nicht herzlich genug zu seinen Figuren, die einfach leben und vergehen und sich nicht aufbäumen. Wenn ich mir das Coverbild so anschaue, dann hat es was von einem dieser alten Fotos, in Sepia, die man zwar heute auch noch entwickeln kann, die aber in eine andre Zeit gehören. Eine Zeit, die vergangen ist.