Da! Ein Ballon! „Miss Harriets Ballonfahrt um die Welt“ von Sue Scullard

Niemand sagt „Ballon“ so umwer­fend wie Harry Rowohlt in einem der Pu-der-Bär-Hörbücher. Und nie­mand malt so schö­ne Heißluftballons wie Sue Scullard – zumin­dest habe ich bis­her in kei­nem ande­ren Bilderbuch schö­ne­re gese­hen. Sue Scullard hat ihrer Fantasie so rich­tig Raum gege­ben, viel­leicht hat sie sich auch von ech­ten Ballons inspi­rie­ren las­sen – die tol­len sieht man zwar eher bei Wettbewerben und Heißluftballontreffen und nicht im Alltag, aber: fas­zi­nie­rend sind sie immer!

Das Cover von „Miss Harriets Ballonfahrt um die Welt“ ist ein ech­ter Hingucker: in der Mitte der Eiffelturm, um ihn her­um schwe­ben über­ein­an­der, hin­ter­ein­an­der, durch­ein­an­der rich­tig vie­le Ballons, und unten ste­hen unzäh­li­ge Leute im Halbkreis, es herrscht Jahrmarktstimmung. Ach, und die Ballons! Einer hat die Form eines Fliegenpilzes. Viele haben sym­me­tri­sche Muster, man­che ein Tiermotiv, zum Beispiel Kiwis, das Nationaltier von Neuseeland, dann gibt es einen mit Windmühlen, einen in Ananasform, einen mit Hieroglyphen – wun­der­schön sind sie alle!

Und nun zur Geschichte: Miss Harriet, die berühm­te Ballonfahrerin, lang­weilt sich. Ihre Nichte Rebekka und ihr Neffe Wilhelm haben eine Idee: Man könn­te eine Ballonwettfahrt um die Welt ver­an­stal­ten! Miss Harriet ist Feuer und Flamme und lädt ihre Ballonfreunde ein, ins­ge­samt sie­ben­und­sech­zig sind schließ­lich dabei. Start und Endstation ist in Paris, und die wich­tigs­te Regel für alle ist, dass man nicht lan­den darf, ob frei­wil­lig oder nicht – wenn der Ballon den Boden berührt, ist man raus.

Von zehn der Teilnehmer gibt es am Anfang auf einer Seite eine Übersicht: in jedem Kästchen Bild und Name des Ballons, Bild und Name des Ballonfahrers sowie das Herkunftsland. Das ist prak­tisch, wenn die Namen spä­ter im Text auf­tau­chen oder man einen Ballon zuord­nen will. Tante Harriet, Wilhelm und Rebekka aus England flie­gen mit dem Ballon „Drachenfeuer“. Die ande­ren Fahrer sind aus Japan, Frankreich, Ägypten, Deutschland, Grönland … Und los geht die Reise!

… ein rasan­ter Flug über den Schwarzwald, die Sahara, das „Dach der Welt“, die Urwälder von Borneo, vor­bei an einem aus­bre­chen­den Vulkan, durch den Grand Canyon, über New York, den Nordatlantik, über eng­li­sche Landschaften … bei Wind und Wetter: Hagel, Hitze, Kälte, Regen … Kein Wunder, dass die Zahl der Ballons bei die­ser Tour immer wei­ter schrumpft. Am Ende wird nur ein ein­zi­ger Ballon das Ziel – Paris – errei­chen. Und weil die Natur und die Strecke von 23 000 Meilen schon Herausforderung genug sind, braucht es auch kei­nen Bösewicht, der die ande­ren Ballons sabo­tiert. Das fand ich gut.

Die Ballons sieht man aus immer neu­en Perspektiven – von unten, von oben, mal schwe­ben sie von links ins Bild, mal sind sie weit weg, mal direkt vor der Lesernase. Und die Landschaften und Bauten sind eine Wucht! So detail­reich gezeich­net, ob es nun der Dschungel mit sei­nen Pflanzen und Tieren oder New York mit sei­nen Wolkenkratzern ist – Tausende Fensterchen, gezack­te, gerif­fel­te, gespal­te­ne Blätter … Die Bilder gehen in die Tiefe, der Grand Canyon bis zum Horizont, die New-York-Silhouette bis hin­ter den Hudson River – das kann man sich lan­ge, lan­ge anschau­en. Es sind immer Doppelseiten zu einer Station der Reise, und immer ist „Drachenfeuer“, der Ballon von Tante Harriet, Rebekka und Wilhelm, dabei. Manchmal muss man ihn aller­dings ziem­lich suchen. Eine ech­te Herausforderung für die klei­nen Leser (für die gro­ßen auch).

Die Sprache ist etwas alt­mo­disch, so fragt Rebekka: „Was hiel­test du von einer Ballonwettfahrt?“ Aber es stört nicht, da die Texte rei­nes Begleitwerk zu den herr­li­chen Bildern sind. Ob die Sprache extra so gewählt ist oder ob sie so ist, weil das Buch von 1986 ist – kann ich nicht sagen. Aber die Leute im Buch sind auch ziem­lich spe­zi­ell geklei­det, etwas zwi­schen Fantasie, tra­di­tio­nel­ler Landestracht und Anfang des 19. Jahrhunderts (?) – doch im Mittelpunkt ste­hen die Ballons und die Landschaften, nicht die Menschen.

1990 ist „Miss Harriets Ballonfahrt um die Welt“ erst­ma­lig im Lappan Verlag erschie­nen. Die über­ar­bei­te­te Neuauflage kam jetzt im März her­aus. Das Buch ist ein Augenschmaus für Leute ab vier Jahren, die Lust auf eine unglaub­li­che Weltreise haben. Einfach schön!

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Sue Scullard
Miss Harriets Ballonfahrt um die Welt
Aus dem Englischen von Hildegard Krahé
Lappan Verlag 2012
32 Seiten
ISBN: 978–3‑8303–1127‑0
12,95 Euro