„Imagine“ von John Lennon und Jean Jullien

Im Herbst 1971 wur­de John Lennons „Imagine“ ver­öf­fent­licht, und das Lied hat seit­dem nichts an Strahlkraft ein­ge­büßt. Leider auch nicht an Aktualität. Damals war unter ande­rem Vietnamkrieg und Kalter Krieg, heu­te, 46 Jahre spä­ter, herrscht ver­mut­lich nicht weni­ger Krieg und Elend auf der Welt.

Das Bilderbuch „Imagine“ hat als Text aus­schließ­lich den Liedtext von John Lennon. Die Illustrationen sind von Jean Jullien. Er zeich­net mit dicken, schwar­zen Konturen und kolo­riert mit ein­fa­chen, eher mat­ten Farben, was an Straßenmalkreide erin­nert. Wir fol­gen einer Taube, einer Friedenstaube, die nicht nur mit einem Zweig im Schnabel unter­wegs ist, son­dern eine Tasche (mit Peace-Symbol) vol­ler Zweige dabei­hat, die sie an ande­re Vögel verteilt.

Zum Beispiel an zwei Möwen, die sich um einen Fisch strei­ten („Nothing to kill or die for, and no reli­gi­on too“), und an zwei Kolibris, die sich um eine Blüte zan­ken („Imagine no pos­ses­si­ons … No need for greed or hun­ger“). Am Schluss, als es dun­kel wird, lan­det die Taube erschöpft auf einem Baum, die Tasche ist leer, kein Zweig ist mehr drin. Doch dann kom­men alle Vögel ange­flo­gen, die sie im Laufe des Tages getrof­fen hat, jeder sieht anders aus, in Farbe und Form – „You may say I’m a drea­mer, but I’m not the only one. I hope some day you’ll join us, and the world will live as one“.

Unter den eng­li­schen Liedzeilen steht immer direkt die deut­sche Übersetzung von Richard Rosenstein. Er über­setzt nicht wört­lich, was zunächst viel­leicht etwas irri­tiert. Aber die Übersetzung hat Klasse und ist etwas Eigenes, am bes­ten wirkt sie, wenn man sie als Ganzes liest, auf der letz­ten Seite ste­hen sowohl der kom­plet­te Originaltext als auch die Übersetzung.

Vielleicht zwei Beispiele: „A brot­her­hood of man“ über­setzt Rosenstein mit „Die Menschheit ganz ver­eint“. Das ist natür­lich tau­send­mal bes­ser als „Bruderschaft der Menschen“, was man tat­säch­lich auch fin­det, wenn man nach Übersetzungen von „Imagine“ Ausschau hält. Im Lied wird zwi­schen „hea­ven“ und „sky“ unter­schie­den, „Imagine there’s no hea­ven“ und „Above us only sky“, Rosenstein macht dar­aus „Wie wär es ohne Himmel?“ und „Über uns Blau allein“. Schön gelöst, fin­de ich!

Und schön ist das Buch ins­ge­samt, das eben kei­ne Bilder von Hunger, Krieg und Elend zeigt, son­dern mit John Lennons Worten wirkt und mit Illustrationen, die bereits für klei­ne Kinder geeig­net sind, die man so an das Thema her­an­füh­ren kann.

Imagine
Text: John Lennon, Illustrationen: Jean Jullien
Mit einem Vorwort von Yoko Ono Lennon
Aus dem Englischen von Richard Rosenstein
32 Seiten
Freies Geistesleben 2017
ISBN: 978–3‑7725–2800‑2
16 Euro

„Raureif-Zauber“ von Michelle Houts

„Raureif-Zauber“ ist, wie der Buchtitel und das Coverbild schon ver­ra­ten, eine Wintergeschichte. Sie spielt auf der däni­schen Insel Lolland und beginnt am Weihnachtsabend, auf dem Hof der Familie Larsen. Erst ist alles wie immer, nur dass die zwölf­jäh­ri­ge Bettina ihren Großvater schmerz­lich ver­misst, der vor einem Jahr gestor­ben ist, aber dann kommt ein Anruf und am nächs­ten Morgen bre­chen Mutter und Vater auf, er geplant zu einem alten Onkel, sie über­stürzt zur Großmutter, die sich das Bein gebro­chen hat. Zurück auf dem Hof blei­ben Bettina und ihre ein­jäh­ri­ge Schwester Pia.

Die Eltern haben ent­schie­den, dass Bettina groß genug ist, um sich allein um ihre Schwester und die Tiere des Hofes zu küm­mern, zudem sind die Nachbarn infor­miert. Und es gibt noch den Stallwichtel Klakke, der ein Auge auf den Hof und sei­ne Bewohner hat, aber von ihm weiß nie­mand bzw. nie­mand glaubt, dass Wichtel wirk­lich exis­tie­ren – bloß Großvater war davon über­zeugt, und Bettina kann es sich zumin­dest vorstellen.

Am zwei­ten Morgen, an dem die Larsen-Eltern weg sind, glit­zert Lolland in Raureif, was auf der Insel äußerst sel­ten geschieht. Bettina ist ver­zau­bert und erin­nert sich, wie ihr Großvater erzähl­te, dass Raureif etwas Wunderbares sei, magisch gera­de­zu, und dann die aller­selt­sams­ten Dinge geschähen.

Und genau­so kommt es. Denn Klakke ist sau­er, weil die Larsens am Weihnachtsabend ver­ges­sen haben, ihm einen Teller Reispudding in den Stall zu stel­len, ein Wichtelbrauch, an den die Larsens sich bis­her immer gehal­ten haben. Also treibt Klakke etwas Schabernack – und er nimmt die schla­fen­de Pia aus dem Kinderwagen mit sich in den Wald, war­um, weiß er selbst nicht.

Statt den Eltern und den Nachbarn zu sagen, dass Pia ver­schwun­den ist, macht Bettina sich selbst auf die Suche nach ihrer Schwester. Und damit beginnt ein Abenteuer im Wichtelreich, das natür­lich glück­lich endet, für die Menschen wie für die Wichtel, die, so erfährt man, durch­aus auch ihre (Familien-)Probleme haben.

„Raureif-Zauber“ ist ein Buch für die Winter- und Weihnachtszeit, wenn man sich bes­ser als sonst vor­stel­len kann, dass es viel­leicht doch wun­der­sa­me Wesen wie Wichtel gibt, ob in Haus, Stall oder Wald. Die Geschichte hat ihr eige­nes, ruhi­ges Tempo, pas­send zum kal­ten, rau­reif­wei­ßen Winter – und ist span­nend für Kinder ab acht Jahren.

Michelle Houts: Raureif-Zauber
Aus dem Englischen von Dieter Fuchs
Illustrationen von Nina Schmidt
253 Seiten
ab 8 Jahren
Urachhaus 2017
ISBN: 978–3‑8251–7948‑9
17 Euro

„Hier gibt’s Monster!“ von Guido van Genechten

Jedes Kind weiß, dass (Kinderbuch-)Monster ganz nett sein kön­nen, aber ein biss­chen gru­seln ist ja auch schön, also bie­tet Guido van Genechten in „Hier gibt’s Monster!“ die per­fek­te Mischung aus nett und gruselig.

Auf dem Einband und den ers­ten Seiten fal­len jede Menge (Warn-)Schilder und Spruchwolken ins Auge: „Stop“, „Nichts für Feiglinge“, „Eigentlich kannst du jeder­zeit auf­hö­ren“, „Hast du Bammel?“ usw., wenn das kei­ne pas­sen­de Einstimmung ist! Lila, rosa, grün, blau und auch mal schwarz ist der Hintergrund im Buch, alles, bloß nicht weiß. Im Mittelpunkt ste­hen aqua­rel­li­ge Monster, jedes in einer ande­ren Farbe. Los geht es mit Mini-Monstern, dann kom­men grö­ße­re: ein Stinke-Monster, eins, das laut schreit, ein Schleim-Monster und zum Schluss eins, das einem qua­si ins Gesicht springt, ein Aufklapp-Monster.

Jedes Monster wird auf der vor­her­ge­hen­den Seite, vor dem Umblättern, ange­kün­digt, so steigt die Spannung, aber man ist auch schon gewapp­net. Eine Ankündigung sieht zum Beispiel so aus: „Bevor wir wei­ter­ma­chen: Am bes­ten die Nase zuhal­ten (oder eine Wäschklammer benut­zen). Bereit?“ Es folgt das Stinke-Monster.

Und ja, so rich­tig unheim­lich sehen die Monster nicht aus, eigent­lich ganz nied­lich und eben nett. Auf der Rückseite des Buchs sind eini­ge sogar mit Kopfbild und Namen zu fin­den, das Stinke-Monster ent­puppt sich bei­spiels­wei­se als Prof. Odor.

Wer alle Seiten und Monster gemeis­tert hat, gelangt am Ende zur Tapferkeitsurkunde zum Bestehen der Monsterprüfung, hier kann die Heldin oder der Held ihren/seinen Namen ein­tra­gen. Ein sehr schö­nes Bilderbuch, das zum Mitmachen ein­lädt, zum Etwasgruseln, Tapfersein und Spaßhaben.

Guido van Genechten: Hier gibt’s Monster!
Aus dem Niederländischen von Meike Blatnik
Lektorat: Christiane Lawall
32 Seiten
ab 4 Jahren
annet­te betz 2017
ISBN: 978–3‑219–11747‑9
16,95 Euro