Wie ticken die Spanier? So! Der „Fettnäpfchenführer Spanien“ von Lisa Graf-Riemann

Da liegt mal wie­der ein äußerst hüb­sches Buch auf dem Schreibtisch, das Cover zeigt einen Fuß im Ballerina-Schuh und ein Stück Kleid, rot mit wei­ßen Punkten, und klar, das muss was Spanisches sein! Der „Fettnäpfchenführer Spanien“ von Lisa Graf-Riemann will (laut Untertiel) ver­ra­ten, „wie man den Stier bei den Hörnern packt“. Das weiß ich nach dem Lesen zwar immer noch nicht, ich gehe ja noch nicht mal frei­wil­lig über eine Weide mit Kühen ohne Hörner, selbst wenn das eine Abkürzung wäre, aber …

Ja, ich bin jetzt schlau­er als vor­her, was Spanien betrifft, und wäre gern bereit, den Stier im über­tra­ge­nen Sinne bei den Hörnern zu packen, es also vor Ort, zum Beispiel in Madrid oder doch mal wie­der in Gijón, drauf ankom­men zu las­sen. Schade, dass der Urlaub in die­sem Jahr anders­wo­hin geht. Der Stierkampf ist ja ein Fettnäpfchenthema, das war mir schon bekannt, aber wel­che Fülle von Fettnäpfchen Deutsche in Spanien erwar­tet, fand ich doch allerhand.

Der „Fettnäpfchenführer“ ist kein Reiseführer, son­dern ein „Land- und Leuteführer“, der enorm kurz­wei­lig rich­tig vie­le Informationen rüber­bringt. Der Leser beglei­tet Tom und Lena aus Deutschland, die frisch nach Spanien gekom­men sind: Der eine tritt einen neu­en Job in einer Softwarefirma in Madrid an, die ande­re wird einen Sprachkurs in Alicante besu­chen. Wie es den bei­den Deutschen mit WG-Mitbewohnerinnen, Arbeitskollegen, bei Ausflügen, beim Telefonieren, bei Festen usw. ergeht, wird in 33 kna­cki­gen Kapiteln berich­tet, die jeweils in drei Teile unter­glie­dert sind.

Erst kommt immer die Situation:
Zum Beispiel geht Tom mit Geschäftspartnern essen und will dabei eigent­lich über die Arbeit reden. Damit blitzt er aller­dings ab. Sein Sitznachbar fragt ihn, wie er mit der Mentalität der Spanier zurecht­kom­me, wor­auf Tom erzählt, dass er eini­ges nicht ver­ste­he, die Sache mit dem Stierkampf zum Beispiel und die mit der ETA. Damit bringt er das Tischgespräch zum Erliegen.

Dann wird gefragt: „Was ist da schiefgelaufen?“
Die Antwort wäre hier: Bei Businessessen wird nicht übers Geschäft gere­det, poli­ti­sche und kon­tro­ver­se Themen sind zu meiden.

Zuletzt gibt es Tipps: „Was kön­nen Sie bes­ser machen?“
In die­sem Fall: nett und freund­lich sein, sich von der Schokoladenseite zei­gen, kei­ne Themen wäh­len, mit denen man aneckt.

Im eigent­li­chen Text sind zwar schon etli­che Informationen unter­ge­bracht, doch wei­ter­füh­ren­de, aus­führ­li­che­re Erläuterungen wur­den leser­freund­lich in graue Kästchen gepackt. Wenn man will, kann man sich also gleich über spa­ni­sche Käsesorten, „Sorteo de Navidad“ (spa­ni­sche Weihnachtslotterie), Pedro Almodóvar, „Hoy pago yo“ (Heute zah­le ich.) usw. schlau machen – oder das belie­big nachholen.

Sehr schön ist auch, dass spa­ni­sche Wörter und Wendungen hin und wie­der ganz locker und läs­sig in den Text ein­ge­baut und wie­der­holt ver­wen­det wer­den, sodass man am Ende qua­si im Vorbeigehen schon etwas mit­ge­nom­men hat. Hier zeigt sich die Expertin, die die Autorin ist, da sie vie­le Jahr Spanisch unter­rich­tet und Spanisch-Lehrbücher ver­fasst hat. Dass in Spanien eben nicht nur Spanisch gespro­chen wird, und dass Katalanisch und Baskisch kei­ne Dialekte, son­dern eige­ne Sprachen sind, nun, das ist auf jeden Fall gut zu wis­sen! Die Sache mit der „Hispanisierung“ aus­län­di­scher Worte fand ich lus­tig, beson­ders die­ses Beispiel: „Mecklenburgo Antepomerania“. Gefällt mir eigent­lich bes­ser als das Original. ;)

Ich habe die­ses Buch in einem Rutsch gele­sen und bin jetzt, wie gesagt, um eini­ges schlau­er als vor­her. Der „Fettnäpfchenführer Spanien“ ist genau rich­tig für Urlauber, die nicht nur im Hotel sit­zen, Studenten, die ihr Erasmus-Jahr in Spanien ver­brin­gen wol­len und über­haupt alle, die sich für das Land und die Leute inter­es­sie­ren. Dass man dann alle Fettnäpfchen ver­mei­det und sofort ‚his­pa­ni­siert‘ ist, glau­be ich ja nun nicht. Aber man hat auf jeden Fall ein sehr hilf­rei­ches Päckchen geschnürt – nicht zu ver­ges­sen die gro­ße Portion Neugier dar­auf, das alles ‚in echt‘ auszuprobieren …

Ach, Spanien, wie scha­de, dass es die­ses Jahr nichts wird … Aber bald!

Lisa Graf-Riemann
Fettnäpfchenführer Spanien
Conbook Verlag
288 Seiten
10,95 Euro
ISBN 978–3‑934918–75‑7

Mutti ist schuld: „Mutterschuldgefühl“ von Ulrike Hartmann

Ich bin über­zeugt davon, dass Eltern durch­aus zu vie­le Ratgeber und Sachbücher zum Thema „Wie erzie­he ich mein Kind rich­tig?“ lesen kön­nen. Und wer hat denn über­haupt Zeit dafür? Die Tyrannen-Bücher hab ich mir erspart. Jirina Prekop hab ich mal live erlebt – und danach dan­kend auf ihre Bücher ver­zich­tet. Von Jesper Juul steht natür­lich was im Regal. Aber gele­sen? Nee, wann denn?

Für „Mutterschuldgefühl“ von Ulrike Hartmann hab ich mir die Zeit genom­men (schließ­lich woll­te ich das rezen­sie­ren). Sie schreibt auch sehr unter­halt­sam, ein Ratgeber im eigent­li­chen Sinne ist das Buch nicht. Eher eine Mischung aus Selbsterlebtem und hand­fes­ten Informationen. Hier wird der Weg der Mütter mit ihren Kindern von der Schwangerschaft bis in die Schulzeit hin­ein erzählt. Besser gesagt: der Weg der Autorin mit ihren bei­den Töchtern. Ihr Erleben steht exem­pla­risch für das vie­ler Mütter. Dabei trifft Ulrike Hartmann einen Ton, der zum Weiterlesen ani­miert: ein wenig Plaudern, aber nicht ober­fläch­lich, leicht, mit einem Schuss Ironie. Das liest sich sehr gut.

Los geht es mit den Mutterschuldgefühlen nicht etwa erst, wenn das Kind gebo­ren ist. Nein, davor kom­men bei­spiels­wei­se die Risikofaktoren. Mittlerweile gibt es 53 Risikofaktoren, dar­un­ter: Adipositas, Kleinwuchs, das Alter der Mutter (unter 18, über 35 Jahren). So wer­den 70 % der Frauen gleich als Risikoschwangere ein­ge­stuft – in Skandinavien sind es laut Ulrike Hartmann gera­de mal um die 20 %.  Und was nicht alles geprüft und gemes­sen wird, wenn frau schwan­ger ist! Der Arzt mutiert schnell zum Vertreter für prä­na­ta­le Diagnostik, und die Frau fühlt sich „schwan­ger-krank“. Dass sie sich Gedanken über das Kind, die Familie, die Zukunft, die Welt macht, gehört zu einer Schwangerschaft. Aber das kann schnell extre­me Züge anneh­men. Sie könn­te sich aufs Kind freu­en – und hat Angst vor Katzen (Toxoplasmose!), anste­cken­den Krankheiten, dem Feinultraschall usw. Mutter wer­den und nicht Patientin sein – wem gelingt das?

Wenn das Kind end­lich da ist, kann sich der Druck auf die Mutter ordent­lich ent­fal­ten. Sie muss alles per­fekt machen: das Kind pau­sen­los beauf­sich­ti­gen (damit kein Nachbar sich beschwert, wenn man es mal hört), das Richtige tun (Drama an der Supermarktkasse – was hat die Frau nur falsch gemacht bei der Erziehung …), das Richtige kau­fen. Zum Beispiel den Kinderwagen, der gera­de „in“ ist – ja doch, der Kinderwagen als Statussymbol! Schuldig füh­len sich auch man­che Mütter, die nicht stil­len kön­nen oder wol­len, die Autorin spricht vom „Still-Zwang“ und gar einer „Still-Mafia“. Dieser Abschnitt ist der ein­zi­ge, in dem mich der poin­tier­te Stil stört, das Stillen wird mir gar zu schwarzgemalt.

Ansonsten hat­te ich beim Lesen vie­le Aha-Momente und sol­che, in denen ich die Augen ver­dre­hen muss­te. Oder was soll man denn von einem Englisch-Kurs für Babys im Alter von 3 bis 18 Monaten hal­ten? Das Kursunwesen für Mutter und Kind nimmt die Autorin aus­gie­big aufs Korn. Statt drau­ßen zu toben, mes­sen Mütter und Kinder sich in Sportkursen, und um ande­re Mütter zu tref­fen und mal aus den eige­nen vier Wänden raus­zu­kom­men, geht man eben in den PEKIP-Kurs. Die Mitmütter sind zwar gute Informationsquellen (Essen, Einkauf) und Gesprächspartnerinnen , doch schnell wer­den die Kinder ver­gli­chen: Wer läuft frü­her, wer kann was, wie kann ich mein Kind best­mög­lich fördern …

Eine Norm gibt es auch bei den U‑Untersuchungen beim Kinderarzt, schnell ist ein Kind zu klein, zu dünn, zu dick oder hat einen zu gro­ßen Kopf. Und die Normung geht immer wei­ter: Im Kindergarten gibt es „Personalakten für die Kleinsten“, in der Schule ste­hen dann alle gemein­sam unter Leistungsdruck – Kinder, Lehrer und Eltern müs­sen gute Noten erbrin­gen in einem Schulsystem mit dem Leitspruch „Wie mache ich die bes­te Bildung mit mög­lichst wenig Geld?“. Und wer nicht damit klar­kommt, hat eben Pech.

Zum Ende hin wird das leicht grus­lig, denn Kinder, denen alles zu viel wird und die schon Angst vor der Schule oder sogar Depressionen haben – das kann doch eigent­lich nicht sein?! Ulrike Hartmann schließt jedoch mit einem auf­mun­tern­den Plädoyer, gegen den „Leistungswahn in unse­rer Gesellschaft“, gegen das „Ideal der per­fek­ten Mutter“ und Mutterschuldgefühle. Für eine ent­spann­te Mutter, die nicht auf Biegen und Brechen ver­sucht, ihr Kind von Anfang an opti­mal für sei­ne spä­te­re Karriere als Rechtsanwalt oder Ärztin zu präparieren.

Wir haben also den Lernprozess einer Mutter mit­ver­folgt, die nicht gera­de gegen den Strom schwimmt bzw. schwim­men muss. Sie hat zwei gesun­de Kinder, nimmt sich für sie Zeit, infor­miert sich, enga­giert sich im Kindergarten und in der Schule, wenn das erwünscht (oder gefor­dert) ist. Am Ende hat sie den Druck durch die Gesellschaft (Normen hier, Normen da) erkannt und will nicht mehr in die Mutterschuldgefühlfalle tre­ten. Ob das zu schaf­fen ist, ist die ande­re Frage. Frau braucht schon viel Gelassenheit, um im prä­na­ta­len Zirkus gelas­sen zu blei­ben. Und wie bewahrt man die Ruhe, wenn es in der Schule Probleme gibt? Kann man sich wirk­lich aus dem Leistungszirkus aus­klin­ken? Ich hab da so mei­ne Zweifel. Aber nichts­des­to­trotz: Dieses Buch ist abso­lut emp­feh­lens­wert. Weil es sich pri­ma liest und einen zum Nachdenken bringt.

Ulrike Hartmann
Mutterschuldgefühl
Vom täg­li­chen Anspruch, immer das Beste für die Kinder zu wollen
Verlag süd­west, 2010
ISBN: 978–3‑517–08631‑6
16,99 Euro

Kind zieht aus, Mutti bleibt allein zu Haus

Soso, die Kinder sind alt genug, wer­den flüg­ge, ver­las­sen die Eltern oder wer­den hin­aus­kom­pli­men­tiert. Spannendes Thema, das klingt nach guten Geschichten. Birgit Adam lässt in „Eltern allein zu Haus. Wenn Kinder aus­zie­hen“ drei­zehn Mütter erzäh­len. Väter kom­men nicht zu Wort, und offen­bar ist das kein gro­ßer Verlust. Denn die Frauen leben alle im Westen und sind also etli­che Jahre – unter­schied­lich lang – zu Hause geblie­ben, um die Kinder groß­zu­zie­hen. Der Vater war fürs Einkommen zustän­dig und hielt sich aus Erziehungsfragen raus.

Trotzdem scha­de, dass kein Mann berich­tet, denn Mütter kön­nen sich meist sowie­so bes­ser arti­ku­lie­ren, wenn es um Gefühle geht. Es wäre doch span­nend gewe­sen, mal die Sicht der Väter zu lesen. Die Mütter erzäh­len in die­sem Buch nichts Überraschendes. Der einen fiel die Trennung und die neue Lebenssituation, in der nicht mehr die Kinder im Mittelpunkt ste­hen, leich­ter – der ande­ren schwe­rer. Sie machen sich auch nach deren Auszug noch vie­le Gedanken und wis­sen, dass sie die Sorgen um Tochter und Sohn nie ein­stel­len kön­nen. Erstaunlich vie­le der Frauen hal­ten ihre Kinder zwi­schen 20 und 30 Jahren noch nicht für erwach­sen, da sie zumin­dest zeit­wei­se im Elternhaus woh­nen oder zum Lebensunterhalt Geld von den Eltern benö­ti­gen. Interessant ist auch, wie – und ob! – die Eltern nach dem Auszug der Kinder ihre Beziehung weiterführen.

Jede Geschichte ist anders, im Großen und Ganzen unter­schei­den sie sich aber recht wenig, denn, wie gesagt, Handlungsort ist der Westen der Republik und die Kinder gehen nach dem Abi in der Regel auf die Uni. Eine Tochter schmeißt ihr Studium und hat­te mal blaue Haare, und eine ande­re Tochter bricht den Kontakt zu ihrer Mutter gänz­lich ab, als die­se sich für sie nicht von ihrem neu­en Lebenspartner tren­nen will. Das sind die Berichte, die ein wenig aus der Reihe tan­zen. Es muss ja nicht gleich Mord und Totschlag sein, aber wenn ich mir über­le­ge, wel­che Vielfalt bei die­sem Thema mög­lich gewe­sen wäre …

Was ist mit Kindern, die bei ihren Eltern blei­ben, weil sie zum Beispiel in einem Mehrfamilienhaus leben? Was ist mit Familien aus dem Osten, in denen die Mütter ganz selbst­ver­ständ­lich kur­ze Zeit nach der Geburt wie­der arbei­ten gin­gen und die Kinderbetreuungssituation anders war? Was ist mit Familien, die kein Eigenheim hat­ten und ihren Kindern kein Studium finan­zie­ren konn­ten? Und was ist mit den Vätern? Aber nach denen frag­te ich ja schon.

Die drei­zehn Berichte sind eigent­lich Gespräche, Birgit Adam hat sich mit den Frauen unter­hal­ten. Die Fragen der Autorin tau­chen im Text auf, auch Überleitungen und Erklärungen, manch­mal inter­pre­tie­rend. Die ursprüng­li­che Mündlichkeit zeigt sich in Wiederholungen, man­ches ist den Frauen so wich­tig, dass sie es mehr­mals im Gespräch erwäh­nen. Diese Mütter wir­ken sehr abge­klärt, sie haben sich im Griff, auch wenn sie bei­spiels­wei­se mit der Tochter seit fünf Jahren kei­nen Kontakt mehr haben – das wird schon wie­der! Vielleicht haben die Frauen das tat­säch­lich schon alles abge­hakt, oder sie woll­ten nicht zu tief gehen, wer weiß.

Das Buch liest sich gut und schnell. Manche Leserinnen und Leser um die 30 erin­nert es viel­leicht auch an die eige­ne Mutter, so wenn es um den Ordnungssinn der Kinder geht – eini­gen Müttern ist das auf­ge­räum­te Zimmer ziem­lich wich­tig … Eine gro­ße Rolle spielt auch die Selbstständigkeit der Söhne und Töchter, deren Zielstrebigkeit im Leben, wie häu­fig man sich trifft, wie eng der Kontakt ist. Vielleicht ist es Zufall, aber die Mütter schei­nen ihre Söhne gene­rell als pfle­ge­leich­ter zu emp­fin­den als ihre Töchter. Wenn Sohn und Tochter, schon erwach­sen, noch zu Hause leben, flie­gen eher zwi­schen Mutter und Tochter die Fetzen.

Durch die Konzentration auf das Auszugsthema und wenn sie selbst nichts wei­ter über sich erzäh­len, blei­ben die Frauen zum Teil ziem­lich blass, ihre Antworten belie­big. Frauen und Mütter mit Westbiographie dürf­ten sich hier ins­ge­samt wie­der­fin­den, für Ostmütter ist viel­leicht der ande­re Hintergrund inter­es­sant. Und zur Mutter-Kind-Beziehung gibt es im Buch natür­lich Aussagen, die jeder unter­schrei­ben könn­te. Ein net­tes Buch also, von dem ich mir aber etwas mehr erwar­tet hätte.

Birgit Adam: Eltern allein zu Haus. Wenn Kinder ausziehen
Sankt Ulrich Verlag 2010
16,90 Euro
ISBN: 978–3‑86744–159‑9