Was hat das Huhn mit Fisch zu tun? „Familie Fisch macht Urlaub“ von Michael Wäser

Fisch und Huhn, wann kom­men die bei­den schon mal zusam­men? Vielleicht in Form von Fischmehl, das an die Hühner ver­füt­tert wird, aber dar­um geht es im Buch von Michael Wäser wirk­lich nicht. Es heißt „Familie Fisch macht Urlaub“, und auf dem Cover ist ein hüb­sches brau­nes Huhn abgebildet.

Carla, eins von sie­ben Kindern der Eltern Erika und Rainer Fisch, hat ein Huhn adop­tiert, wovon dum­mer­wei­se sonst nie­mand weiß. Das Huhn ist noch so klein, dass es auch ein Hahn sein könn­te, es läuft Carla immer hin­ter­her und fühlt sich an wie Seide. Bevor die Fischs in den Urlaub fah­ren, geben sie ein Festessen für ihre Freunde und Verwandte, für das sämt­li­che Hühner in die Pfanne kom­men. Carla steht dann vor dem gedeck­ten Tisch – und fällt um.

Der Urlaub der Fischs ist ein ganz spe­zi­el­ler, wor­auf schon der Untertitel des Buches hin­weist: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errich­ten“. Im August 1961 wur­de die Berliner Mauer gebaut, und just in die­ses Ereignis gerät die Familie, als sie die DDR ver­las­sen will. Direkt poli­tisch sind sie nicht, die Fischs, sie wer­den nur ‚ganz nor­mal‘ bespit­zelt, also vom Nachbarn, durch Lehrer usw. – aber eigent­lich brin­gen sie sich vor Oma Fisch in Sicherheit. Die hat ihren Sohn fest im Griff, lässt ihn aus­spio­nie­ren und möch­te sich gar in der klei­nen Hausmeisterwohnung der neun­köp­fi­gen Familie ein­quar­tie­ren, wahr­schein­lich, damit sie alles noch bes­ser unter Kontrolle hat. Rainer Fisch jeden­falls bekommt es nicht fer­tig, der Mutter sei­ne Meinung zu sagen, und so wird inner­halb kur­zer Zeit die ‚Republikflucht‘ geplant.

Man könn­te ver­mu­ten, dass das ein lau­tes Buch ist, denn bei einer so gro­ßen Familie kann es ja eigent­lich gar nicht lei­se zuge­hen. Und die Ausreise lie­ße sich als ner­ven­zer­fet­zen­der Krimi schil­dern. Aber „Familie Fisch macht Urlaub“ ist ein ruhi­ges, gar nicht hek­ti­sches Buch. Ein all­wis­sen­der Erzäher webt die Fäden zusam­men und erlaubt auch mal einen zwei­ten Blick auf die Figuren. Dass man kei­ner ganz nah kommt, liegt dar­an, dass der Autor sich nicht auf eine kon­zen­triert, son­dern vie­len ihren Moment im Rampenlicht gibt. Tochter Carla (die mit dem Huhn Hempel) hat eini­ge spe­zi­el­le Auftritte, sie treibt die Geschichte mehr­mals kräf­tig vor­an – ohne das zu wol­len. Und dass man z. B. erfährt, wie Erika und Rainer Fisch sich gefun­den haben im Nachkriegsdeutschland, ist eine fei­ne Sache.

Ob am Schluss die Familie im ‚Westen‘ lan­det oder ob doch Oma Fisch tri­um­phiert, ver­ra­te ich jetzt natür­lich nicht. Dieses Buch bie­tet: einen star­ken Erzähler, Szenen und Figuren, die rea­lis­tisch und gut beob­ach­tet erschei­nen, eine unauf­ge­reg­te Sicht auf die­se Zeit, auf das Jahr des Mauerbaus. Was nicht heißt, dass es kei­nen Wirbel und nichts zu lachen gäbe! Und die klei­nen Verrücktheiten, die ein Buch erst rund machen, feh­len auch nicht. Ich sag nur: Hempel, Western, Flick-Flack …

Michael Wäser: Familie Fisch macht Urlaub oder: Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten
Buchbäcker Verlagsgmbh 2011
224 Seiten
13,90 Euro

Für trübe Tage: „Mini Shopaholic“

Bei Sabine in der Kaffeepause! gibts eine Blogparade, für die ich nun end­lich auch etwas schrei­ben möch­te. Eigentlich woll­te ich „Die Tribute von Panem“ emp­feh­len, aber das hat bereits eine Kaffeepäuslerin getan, und so neh­me ich statt­des­sen ein ech­tes Mädelsbuch, das wun­der­bar leicht ist und etwas für graue Novembertage: „Mini Shopaholic“!

Sophie Kinsella hat schon eine Menge Bücher geschrie­ben, die sich um Becky Brandon (gebo­re­ne Bloomwood) dre­hen, man­che sind wirk­lich lus­tig, man­che etwas bemüht, aber Reihen haben das ja meist so an sich: Höhen und Tiefen. Das neu­es­te Shopaholic-Buch kauf­te ich mir, nach­dem ich in einem Blog dar­über gele­sen hat­te – manch­mal bekommt Bloglesen dem Budget nicht …

Becky Brandon ist süch­tig nach Shoppen, sie kommt an man­chen Läden ein­fach nicht vor­bei. Die Klamotten sta­peln sich dann, den Großteil zieht sie nie an. Das muss man sich erst mal leis­ten kön­nen, und mitt­ler­wei­le kann sie das, denn sie ver­dient als Personal Shopper nicht schlecht, aber das Gewissen … Und der Ehemann … Der erträgt die Shoppingsucht zwar, fin­det sie jedoch nicht gera­de toll. Luke Brandon, der Gatte, ist dafür arbeits­süch­tig, aber das ist natür­lich über­haupt nicht anrü­chig. Die Geschichte ist nicht der Hammer, dafür kon­se­quent durch­ge­zo­gen, es dreht sich alles dar­um, dass Becky für Luke eine Überraschungs-Geburtstagsparty orga­ni­sie­ren will – eine von wirk­lich gro­ßem Kaliber, was sich als nicht so ein­fach erweist.

Die Fäden wer­den gekonnt mit­ein­an­der ver­wo­ben: Stress im Job, Stress mit dem Kind, Missverständnisse mit den Freunden, Stress bei der Haussuche, Stress mit einem heroi­schen Shopping-Versprechen – bei aller Leichtigkeit und Durchgeknalltheit ist der Roman kei­ne Lachnummer, son­dern durch­aus emo­tio­nal und mit­rei­ßend, vor allem, wenn man Becky schon aus ande­ren Büchern ‚kennt‘. Wirklich gut geschil­dert ist zum Beispiel ein Zerwürfnis Beckys mit ihrer Mutter, die Verletzung, das Schweigen – da erken­nen die meis­ten Mütter und Töchter sich wie­der, den­ke ich!

Also: ein Buch wie Zuckerwatte, so leicht, ein wenig kleb­rig, doch nicht ohne Niveau. Meine Empfehlung für die­sen Leseherbst. Aber bit­te auf Englisch! ;-)

Sax Royal. Eine Lesebühne rechnet ab

Lesebühnen gibt es eher (oder: nur) in grö­ße­ren Städten – kein Wunder, liest doch eine Gruppe Autoren regel­mä­ßig am sel­ben Ort. In viel zu vie­len Kleinstädten kom­men ja schon nur ein paar Leutchen, wenn sich ein Mal in 10 Jahren ein Bestsellerautor sehen lässt. Oder ist das jetzt der fal­sche Denkansatz? Käme es Kleinstadtmenschen ent­ge­gen, wenn sie immer am 1. eines Monats eine fes­te Verabredung mit einer Lesebühne hät­ten? Wer weiß. Jedenfalls gibt es seit Januar 2005 in Dresden eine Lesebühne mit dem schö­nen Namen Sax Royal. Zu Sax Royal gehö­ren fünf Männer in den 30ern, ihr Stammhaus ist die Scheune in der Dresdner Neustadt. Im Scheunecafé kann man übri­gens vor­züg­lich brun­chen und Indisch essen, aber das nur nebenbei.

Es muss­te natür­lich die Neustadt sein, denn dort gibt es auch fünf Jahre spä­ter Häuser, die sich neben den baro­cken Bauten der Dresdner Altstadt so selt­sam aus­ma­chen wür­den wie eine alte, klei­ne Kirche neben einem Wolkenkratzer. Auf der schö­nen rot-gel­ben Seite von Sax Royal erfährt die geneig­te Leserin – und der Leser auch –, dass die Lesebühne, „eine neue Form der lite­ra­ri­schen Subkultur“, in den 90ern in Berlin ent­stand. Eine Autorengruppe prä­sen­tiert ihre neu­es­ten Texte live dem Publikum; die Kurzgeschichten, Songs oder Gedichte dre­hen sich zumeist um Alltagsthemen.

Lesebühnen gehen dan­kens­wer­ter­wei­se auch mal auf Reisen, und so ver­schlug es Sax Royal im  Sommer nach Schwarzenberg. In der Galerie Rademann tru­gen vier der fünf Autoren fast gänz­lich in Schwarz gewan­det der Reihe nach abwech­selnd Lyrik und Prosa vor. Mit dabei waren: Michael Bittner (Dresdner, gebür­ti­ger Görlitzer, Literaturwissenschaftler, Autor), Roman Israel (Dresdner, gebür­ti­ger Löbauer, Autor), Max Rademann (Dresdner, gebür­ti­ger Schwarzenberger, Autor, Zeichner, Musiker) sowie Stefan Seyfarth (Dresdner, gebür­ti­ger Zeulenrodaer, Kellner, Poet). Es fehl­te: Julius Fischer (Leipziger, gebür­ti­ger Geraer, Slam-Poet, Kabarettist).

Was den Zuhörern ohne Lesebühnenerfahrung zuerst auf­ge­fal­len sein dürf­te war, dass der jeweils Vortragende nicht sit­zen blieb, son­dern sich erhob, zum Mikro ging und ans Publikum gewandt zu lesen begann. Die Texte wir­ken auch ohne die Stimme der Autoren, aber wenn man die Stimmen kennt, fehlt einem beim Lesen etwas bezie­hungs­wei­se man hat die prä­gnan­te­ren Stimmen im Hinterkopf. Gut also, dass dem Buch „Sax Royal. Eine Lesebühne rech­net ab“ eine CD bei­liegt – 71 Minuten live aus der Scheune.

Das Buch: rund 120 Seiten, wohl­ver­packt, hand­li­ches Format. Die Texte sind nicht zu lang und ziem­lich viel­fäl­tig, was bei fünf Autoren kei­ne Überraschung ist. Stefan Seyfarth und Roman Israel haben einen sehr eige­nen Stil, Sound, könn­te man sagen, ihre Texte sind leicht zuzu­or­den. Seyfarth mit einer sehr direk­ten Sprache, sim­pel fast, kei­ne Schnörkel, dem Leben und den Leuten aufs Maul geschaut. Israels Texte wir­ken, als hät­ten sie einen Milchglasfilter ein­ge­baut – es pas­siert nichts Ungewöhnliches, aber die Sprache hebt die Geschichten in eine Parallelwelt, alles wirkt leicht abs­trakt, verfremdet.

In den Texten geht es weder um Studium und Beruf noch um Familie, son­dern um: Rumschlafen, Rauchen, Kindheit, Frauen, mehr oder weni­ger berühm­te Mitmenschen, Schlagzeilenstoff wie Nacktscanner und Amoklauf. Und so wei­ter. Vielleicht liegt es am Alter der Autoren – oder an der jah­re­lan­gen Übung live vor dem Scheune-Publikum –, dass die Texte bezie­hung­wei­se ihre Helden so abge­klärt wir­ken. Die Typen sind sogar cool, wenn sie (wegen einer Frau) am Boden sind:

Wo war unser Schwanzdenken geblie­ben? Wir benah­men uns wie zwei Schüler der Eunuchenschule. Ich fühl­te mich, als hät­te ich Gehirngrippe. Noch ein Cognac. Aber auch die­ser drit­te woll­te nichts dar­an ändern, dass es sich anfühl­te, als lie­ße man mir die Luft raus. (Max Rademann, Wie zwei Monchhichis, Seite 112)

Sax Royal und der Sex. Zitat gefäl­lig? Bitte:

Das sind die Kompromisse beim Sex. Da wird schon mal mit dem Salzstreuer im Rücken gebumst oder mit Tampon, weil gera­de in dem Moment hät­te das nicht gepasst, das anzu­spre­chen. Und die ein­zi­ge Möglichkeit, sich von so einem Hodenschmerz zu befrei­en, wäre ja, sich durch Erguss Linderung zu ver­schaf­fen. Wie para­dox. Damit man danach wie­der roman­tisch sein kann. (Julius Fischer, Aspekte der Tiefe II – Näher rücken. Schweigen, Seite 96)

Abgeklärt – das gilt nicht für Roman Israels Texte. Die haben eine Wucht und wol­len nicht cool klingen.

Es ist immer das­sel­be. Mann fin­det Frau. Ein paar Wochen, ein paar Monate, Jahre. Ein Kind. Ein Haus. Eine Liebe. Erinnern, ver­ges­sen, töten. Und dann sucht man wie­der. Alles von vorn. Und jetzt sage mir mal einer, war­um das nicht nur mir so geht! Weil die Menschen dumm sind, unglaub­lich dumm. Und weil sie einem immer ein­re­den, es gäbe da noch etwas Besseres. (Roman Israel, Die Wahrheit über das Märchen von der Wahrheit, Seite 80)

Um zum Schluss zu kom­men: Ich emp­feh­le das Buch. Es liest sich gut, ist kurz­wei­lig, viel­sei­tig, je nach Geschmack wird man sei­ne Favoriten fin­den. Und das Beste ist und bleibt, dass man sich die Stimmen der Autoren auf CD anhö­ren kann. Wobei man sie schon mal erlebt haben soll­te – das geht jeden zwei­ten Donnerstag im Monat, in der Scheune, in Dresden. Na denn!

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Sax Royal. Eine Lesebühne rech­net ab
Stefan Seyfarth, Julius Fischer, Roman Israel, Michael Bittner, Max Rademann
Verlag Voland Quist
ISBN: 978–3‑938424–49‑0
März 2010
EUR 13,90