Kunde!

Am Samstagabend pil­ger­te ich, da ich drin­gend etwas brauch­te, in den nächs­ten Supermarkt, der zu einer Kette gehört, des­sen Filialen an sechs Tagen in der Woche bis 22 Uhr geöff­net sind. Es war nicht viel Betrieb, aber auch nicht men­schen­leer. Der Typ „Ich hab neu­lich was ver­ges­sen und muss das jetzt noch holen“ (ich), der Typ „Wir hams ja nich so mit Kultur, gehn ma mal ein­kau­fen“, der Typ „Samstagabend ein­kau­fen ist doch pri­ma, da hab ich den Laden fast für mich“, der Typ „Samstagabend ist per­fekt, ich nehm jetzt alle Angebote an der Fleischtheke mit“ usw.

Natürlich kauf­te ich nicht nur die eine Sache, deret­we­gen ich da war, son­dern nahm noch die­ses und jenes mit, so dass ich mit einem klei­nen Karton vol­ler Essereien an einer Kasse ohne Schlange ankam. Die Kassenfrau sah sehr müde und fer­tig aus – sie hat­te noch min­des­tens drei Stunden Arbeit vor sich, wenn ich ihre Kollegin, die hin­ter mir stand und drauf­los­plau­der­te, rich­tig ver­stan­den habe. Samstagabend, vier Kassen besetzt, aus­schließ­lich Frauen. Frühestens 22.30 Uhr zu Hause. Was für ein Samstag …

Und wie pas­send, dass zu Hause ein Buch mit dem Titel „Die Leiden einer jun­gen Kassiererin“ auf mich war­te­te. Bibliotheksfund, Bücherwagen. Das Original ist 2008 erschie­nen, „Les tri­bu­la­ti­ons d’u­ne cais­siè­re“, die Autorin, Anna Sam, hat selbst acht Jahre an der Supermarktkasse geses­sen, wäh­rend ihres Studiums und danach, da sie mit dem Abschluss zunächst kei­ne Arbeit fand. Es geht um: die Arbeit an der Kasse und die Kunden, die am Fließband auf­lau­fen. Alles ist schön ver­packt in Ironie und Humor, und zwar so gut, dass teil­wei­se die Zündkraft ver­lo­ren­geht. Ich hab ja jetzt kein Wallraff-Buch erwar­tet, aber etwas weni­ger Kurzweiligkeit hät­te sicher nicht gescha­det. Was bleibt hän­gen? Dass man­che Kunden ihre Popel an die Waren schmie­ren und die Kassenfrau sie dann an der Hand kle­ben hat (igitt­igitt). Dass die Pausenzeiten lächer­lich sind. Dass Kunden Kassiererinnen „Nutte“ und „Schlampe“ nen­nen dür­fen, ohne dass was pas­siert. Und so weiter.

Die Bösen in dem Buch sind die Kunden, zum Arbeitgeber wird kaum was gesagt. Nette Kunden kom­men auch vor, aber die sind nicht so – kurz­wei­lig. Das Buch lesen sicher mal wie­der nur die Falschen, die, die sowie­so wis­sen und nicht nur ahnen, dass an der Kasse eine Frau wie du und ich sitzt, die man bit­te­s­ehr nicht anders behan­delt als den Filialdirektor der ört­li­chen Bank.

Anna Sam hat auch ein Blog. Wer des Französischen mäch­tig ist, kann sich da also ordent­lich bele­sen. In der Süddeutschen Zeitung erschien Anfang 2009 ein Artikel über Anna Sam und ihr Buch, „Die Storno-Queen“. Ähem, was für ein Titel. Ein zwei­tes Buch ist wohl in Arbeit, Ort der Handlung wie­der­um: der Supermarkt. In Frankreich war Buch 1 ein Bestseller, ich hab 2009 in D. nichts davon mit­ge­kriegt, aber damit ste­he ich ja viel­leicht allein da …

5 Kommentare

  1. „Samstagabend ist per­fekt, ich nehm jetzt alle Angebote an der Fleischtheke mit” Ist das meta­pho­risch gemeint? Bzw. paarungstechnisch?
    Ansonsten, klingt inter­es­sant! Ich geh mir gleich mal den SZ-arti­kel ansehen…

  2. Storno-Queen? Das klingt doch ver­hei­ßungs­voll. Ich fin­de es gar nicht übel, wenn auch Kritisches in Humor ver­packt wird. Ohne Humor wären popel­be­schmier­te Waren sicher nicht zu ertragen …

  3. „Storno-Queen“ wäre zwei­fels­oh­ne ein pep­pi­ge­rer Titel gewe­sen als „Die Leiden einer jun­gen Kassiererin“, viel­leicht hät­te sich das Buch dann hier noch bes­ser verkauft? :)

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