„Der rubinrote Mantel“ von Katarina Genar

Dick ist das Buch nicht. Hundertvierundzwanzig Seiten, mit Mut zur Lücke bzw. Freiseite, die Schriftgröße ist ange­nehm und die Zeilen haben Platz zum Atmen. Egal? Nein, nicht egal, denn wenn die Wörter genug Raum haben, ist das Lesevergnügen ein­fach grö­ßer, gera­de wenn es um Bücher für Kinder geht, und „Der rubin­ro­te Mantel“ von Katarina Genar wird ab neun Jahren empfohlen.

Der Klappentext kün­digt an, dass das Buch auch im Jahr 1932 spielt, und das in Verbindung des Mädchens im roten Mantel auf dem Cover ließ mich an den Film „Schindlers Liste“ den­ken, in dem ein Mädchen in einem roten Mantel im Ghetto von Krakau einen unver­gess­li­chen Auftritt hat. Doch Katarina Genars Geschichte „Der rubin­ro­te Mantel“ han­delt in Schweden, nicht in Deutschland.

Was pas­siert also in dem Buch? Livia wird elf, und in der Nacht vor ihrem Geburtstag hat sie einen Traum, ein frem­des Mädchen flüs­tert ihr etwas zu, von „Geburtstag“ und einem Buch. Das schöns­te Geschenk, das Livia zum Geburtstag bekommt, ist ein rubin­ro­ter Mantel aus dem Antikenladen in der Stillen Gasse. Der Mantel kommt gera­de recht, denn es ist Oktober und sehr kalt. Livia trägt den Mantel also stän­dig, und er scheint irgend­et­was mit ihr zu machen. Denn plötz­lich zieht es sie zu einem bestimm­ten Ort in der Nähe ihres Hauses, an dem sie die Zeit ver­gisst. Zudem kann Livias Freundin Klara den Mantel nicht tra­gen, da er beim Anprobieren gleich fürch­ter­lich kratzt. Die bei­den Freundinnen schau­en im Antikenladen, aus dem der Mantel stammt, vor­bei, und die Besitzerin Marianne erzählt, der Mantel sei seit Jahrzehnten immer wie­der zurück­ge­ge­ben wor­den, weil er krat­ze. Doch Livia merkt davon gar nichts.

Der rote Mantel scheint eine Verbindung her­zu­stel­len zwi­schen Livia, die im Jetzt lebt, und dem Mädchen, dem er frü­her gehör­te, im Jahr 1932. Und im Laufe des Buches erfährt der Leser und auch Livia mehr über die­ses Mädchen aus der Vergangenheit, zum einen durch Tagebucheinträge, zum ande­ren durch eine ganz unver­hoff­te Begegnung.

Es ist eine klei­ne, fei­ne Geschichte, die einen mühe­los in ihren Bann zieht. Ein biss­chen Magie ist auch im Spiel, aber kei­ne, die mit Elfen, Hexen, Zauberern zu tun hät­te. Katarina Genar kann gut mit Worten umge­hen, sie braucht nicht zu vie­le, um eine beson­de­re Stimmung zu erzeu­gen und ein leben­di­ges, recht kom­ple­xes Bild ihrer Heldin, Livia, zu zeichnen.

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Katarina Genar: Der rubin­ro­te Mantel
Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann
Umschlagillustration und Vignetten von Lina Bodén
Urachhaus 2014
ISBN: 978–3‑8251–7876‑5
124 Seiten
12,90 Euro
Ab 9 Jahren

„Komm mit hinaus! Die Natur im Jahreslauf“ von Susanne Riha

Dieses Buch ist ein­fach ein Buch. Ohne Klappen, ohne 3D, ohne Geräusche und Stimmen, nur Bilder und Texte. Die Zeichnungen sind nah an der Natur, unauf­ge­regt sowohl von den Farben als auch von den Motiven her. Die Texte sind eher kurz, ver­ständ­lich gehal­ten, dabei inter­es­sant und infor­ma­tiv. „Komm mit hin­aus! Die Natur im Jahreslauf“ lädt zum Schauen und zum Lesen ein. Oder Vorlesen. Die 48 Seiten sind klar geglie­dert, nach den vier Jahreszeiten: Es beginnt mit einer Doppelseite all­ge­mein zum Frühling, dar­auf folgt je eine Doppelseite zu März, April, Mai, dann eine Doppelseite zu einem spe­zi­el­len Thema. Und wei­ter geht es mit der nächs­ten Jahreszeit.

Die Einführungsseiten zu den vier Jahreszeiten zei­gen immer das glei­che Motiv, das sich über eine gan­ze Seite erstreckt: eine Landschaft im Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Die Doppelseiten zu den Monaten sind kom­ple­xer. Zunächst ist jede in einem bestimm­ten Lebensraum ange­sie­delt, im Wald, Garten, auf der Wiese, im Auwald, im Park usw. Unten auf der Doppelseite ist jeweils eine grö­ße­re Zeichnung, drum­her­um meh­re­re klei­ne­re Motive. Zu den ein­zel­nen Motiven kur­ze Erklärungen, außer­dem in einem Kasten rechts unten die Rubrik „Wir schüt­zen die Natur“ mit Tipps und Hinweisen, bei­spiels­wei­se zum Baden im Teich (vor­her kei­ne Sonnencreme ver­wen­den, der Grund steht natür­lich auch dabei).

Auf den Monatsseiten erfährt man die Namen eini­ger Pflanzen, die bei uns ver­brei­tet sind, wie Tiere sich ernäh­ren, wie sie woh­nen, ihre Jungen groß­zie­hen usw. Dargestellt sind unter ande­rem die Entwicklung von Frosch und Kröte, Bäume des Auwalds, Blumen auf der Sommerwiese, das Nest eines Teichrohrsängers, Früchte vom Feld, Tierspuren im Schnee … Bei den Bildern wird manch­mal eine Lupe ein­ge­setzt, sodass Tiere und Dinge, die mit dem blo­ßen Auge kaum zu erken­nen sind, nah her­an­ge­holt wer­den, wie Plankton, die Augen der Schnecke oder Eiskristalle.

Es gibt viel zu ent­de­cken auf die­sen Seiten, und das gilt auch für die vier Doppelseiten zu spe­zi­el­len Themen, die da wären: „Der Laubbaum im Jahreslauf“, „Der Kreislauf des Wassers“, „Zugvögel“ und „Winterschlaf und Winterruhe“. Dem Buch liegt ein Plakat bei, auf einer Seite ist eine Kastanie in allen vier Stadien von Frühling bis Winter abge­bil­det, auf der ande­ren Seite die Landschaft in Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die ich oben schon erwähnte.

Das Buch wird emp­foh­len ab fünf Jahren, aber es dürf­te auch deut­lich älte­re Kinder noch anspre­chen und fes­seln, über das Grundschulalter hin­aus. Weil das Buch kom­plex, aber nicht über­la­den, weil es infor­ma­tiv, aber auch ein­fach schön anzu­schau­en ist.

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Susanne Riha: Komm mit hin­aus! Die Natur im Jahreslauf
48 Seiten (mit Plakat)
annet­te betz 2014
ISBN: 978–3‑219–11604‑5
19,95 Euro
Ab 5 Jahren

„Eine Messerspitze voll Magie“ von Lisa Graff

Willkommen in Cadys Welt, in der die meis­ten Menschen ein beson­de­res Talent haben. Dieses Talent muss kei­ne gro­ße Sache sein: zum Beispiel kann ein Junge sehr gut spu­cken, ein ande­rer Junge ver­schwin­det, wie er lus­tig ist (prak­tisch, wenn er sei­ne Ruhe haben will), eine Frau strickt schnell und wun­der­schön. Und Cady, die Hauptperson von Lisa Graffs „Eine Messerspitze voll Magie“, backt für jeden den per­fek­ten Kuchen, den Seelenkuchen sozusagen.

Cady lebt im Waisenhaus von Miss Mallory, als ein­zi­ges Kind, denn Miss Mallory hat das Talent, für ihre Waisenkinder umge­hend die rich­ti­ge Familie zu fin­den. Nur bei Cady funk­tio­niert das nicht, sie ist, seit sie ein Baby war, bei Miss Mallory. Doch als sie elf ist, kommt Bewegung in ihr Leben, durch eine Reihe von Personen, die auf ver­schie­de­ne Weise etwas mit Cady bzw. mit­ein­an­der zu tun haben – was genau, bleibt aber lan­ge im Dunkeln.

Die Autorin Lisa Graff erzählt Cadys Geschichte ein wenig unge­wöhn­lich. Nicht gerad­li­nig von A nach B aus Cadys Sicht, son­dern häpp­chen­wei­se: ein Kapitel Cady, ein Kapitel Toby, ein Kapitel Miss Mallory usw. Bis alle Fäden zusam­men­kom­men und die Geschichte ein run­des Ganzes ergibt, dau­ert es fast 216 Seiten, also bis zum Schluss. Sehr mys­te­ri­ös. Rätselhaft auch der Mann, der Talente klaut, die Frau, die ihr Gedächtnis und die Worte ver­lo­ren hat, die puder­blau­en Koffer und eini­ges mehr.

Zwischen den Kapiteln gibt es hin und wie­der Kuchenrezepte, die „Seelenkuchen“ der Personen, die im Buch eine Rolle spie­len. Die Rezepte sind recht aus­führ­lich, man kann sie also gut nach­ba­cken, zum Beispiel Marigolds Limonensandkuchen, Vs mys­te­riö­se Muffins und Mrs Ashers Honigkuchen.

Das Buch als Kuchen wäre leicht und fluf­fig und wür­de nicht schwer im Magen lie­gen. Es ist für alle ab elf Jahren, die rät­sel­haft-nebu­lö­se Schmöker mit einer Portion Magie schät­zen und viel­leicht auch gern selbst mal einen Kuchen backen.

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Lisa Graff: Eine Messerspitze voll Magie
Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst
Illustriert von Felicitas Horstschäfer (Umschlag), Irmtraud Guhe (Innenillus)
ueber­reu­ter 2014
216 Seiten
12,95 Euro
ISBN: 978–3‑7641–5035‑8
Ab 11 Jahren