„Als die Wolke bei uns wohnte“ von Sabine Bohlmann und Susanne Straßer

Einem Mädchen fällt auf dem Weg zum Kindergarten eine Wolke auf den Kopf. Nun, eher ein Wölkchen, denn es passt pro­blem­los in die klei­ne Kindergartentasche. Das Mädchen nimmt die Wolke mit nach Hause und will sie dort auf­päp­peln. Nachdem es eini­ges ohne Erfolg pro­biert hat, fragt es sei­ne Mutter, was Wolken essen, und erfährt: Wasserdampf. Das ist mit weni­gen Worten (und einer klei­nen Skizze) schön anschau­lich erklärt, und so bas­telt das Mädchen mit Spielsachen eine Vorrichtung, damit die Wolke Wasserdampf fut­tern kann.

Es funk­tio­niert, und die Wolke wächst. Auf den Illustrationen ist sie eine ganz nor­ma­le Wolke, ein Gesicht hat sie nicht, sie redet auch nicht. Dennoch ist sie dem Mädchen ein Freund, mit dem es spie­len kann. Eines Tages ent­de­cken Eltern und Bruder die Wolke, reagie­ren aber gelas­sen und neh­men die Wolke qua­si als neu­es Familienmitglied auf. Die Wolke wächst aller­dings rasant und hin­ter­lässt stän­dig Pfützen in der Wohnung … bis der Familienrat beschließt, dass es so nicht wei­ter­ge­hen kann. Es heißt Abschied neh­men. Oder doch nicht?

Das Mädchen selbst erzählt die Wolkengeschichte, Wörter und Bilder har­mo­nie­ren wun­der­bar. Mal füllt ein Bild eine Doppelseite aus, mal fin­den dar­auf meh­re­re Platz, das ist abwechs­lungs­reich, eben­so wie die Bildmotive, die Einblicke in die Lebenswelt des Mädchens und sei­ner Familie geben. Von Kinderzimmer über Küche bis Wohnzimmer, von Kindergarten bis Urlaubsstrand – Kinder, die sich die Bilder anschau­en, dürf­ten vie­les wiedererkennen.

Die Illustrationen sind detail­liert, wir­ken aber weder über­la­den noch unru­hig, es gibt ein­fach viel zu sehen. Wenn das Mädchen zu Hause ist, ist immer sein Haustier mit im Bild, ein klei­nes brau­nes Kaninchen. Mal mehr, mal weni­ger ver­steckt, das kann man also suchen (las­sen). Susanne Straßer, die Illustratorin, scheint auch ein Faible für Punkte zu haben, nicht nur das Mädchen trägt fast immer ein Kleidungsstück mit Punkten. Der Opa des Mädchens sieht aus wie Fritz J. Raddatz, auf einem Bild sind Plattenbauten zu sehen, die ein­fach Wohnhäuser und nicht depri­mie­rend sind, und auch sonst ist eini­ges zu entdecken.

Nicht zu ver­ges­sen: Es ist eine schö­ne Geschichte von einer Freundschaft, auch wenn die Wolke ein nicht gera­de all­täg­li­cher Freund ist. Aber war­um nicht? Freundschaft hat eben vie­le Gesichter …

Als die Wolke bei uns wohnte
Text: Sabine Bohlmann, Illustrationen: Susanne Straßer
Lektorat: Christiane Lawall
32 Seiten
ab 4 Jahren
annet­te betz, 2017
ISBN: 978–3‑219–11729‑5
14,95 Euro

Sam Usher: „Regen“

Einfach nur „Regen“ ist der Titel die­ses Bilderbuchs, und Regen gibt es auch gleich auf dem Cover, nicht nur zum Anschauen, son­dern sogar zum Fühlen: Die Tropfen (und das Wort „Regen“) sind erha­ben, immer wie­der anfas­sen und drü­ber­strei­chen möch­te man. Wenn man das Buch auf­schlägt, wird auf den gro­ßen Seiten mit viel Regen – von Tropfen bis Bindfäden – eine unkom­pli­zier­te klei­ne Geschichte erzählt.

Es reg­net hef­tig, doch ein Junge, der bei sei­nem Opa ist, möch­te trotz­dem raus. Er erklärt sei­nem Opa, was man bei Regen alles Schönes machen kann, doch sein Opa will war­ten, bis es auf­hört zu reg­nen. Als ein Brief kommt, setzt sich der Opa sofort hin, um ihn zu beant­wor­ten. Der Junge schaut indes­sen zum Fenster raus in den Regen und außer­dem ver­schie­de­ne Bilderbücher an, unter ande­rem eins über den Karneval in Venedig. Als der Opa mit dem Brief fer­tig ist, geht er end­lich mit raus, zufäl­lig hat es kurz auf­ge­hört zu reg­nen. Und der Weg zum Briefkasten wird eine klei­ne (vene­zia­ni­sche) Fantasiereise, nicht in Worten, aber in Bildern.

Die Bilder sind sehr schön, irgend­wie „typisch eng­lisch“, sie erin­nern vom Stil her an Quentin Blake und ein paar Dinge kann man auch als „eng­lisch“ iden­ti­fi­zie­ren, das Haus, den Briefkasten und den Toasthalter zum Beispiel. In man­chen Draußen-Bildern pas­siert nicht viel mehr als dass es Bindfäden reg­net und das Wasser steigt, span­nend sind die Spiegelwelten, die der Regen zau­bert. Die Spielsachen des Jungen, die man in sei­nem Zimmer sieht, tau­chen spä­ter in den Fantasiebildern wie­der auf.

Während ich die Bilder also pri­ma fin­de, über­zeugt die Geschichte mich nicht so rich­tig. Der Opa, der erst raus­ge­hen will, wenn es auf­hört zu reg­nen, nervt. Der Junge beschäf­tigt sich, solan­ge sie drin­nen war­ten, die gan­ze Zeit selbst, was schon sehr erstaun­lich ist. Und die Fantasiereise könn­te „orga­ni­scher“ in die Geschichte ein­ge­baut sein … Aber egal, letzt­end­lich kommt es auf die Bilder an, und die kann man ein­fach genie­ßen. Bis zum nächs­ten Regen!

Sam Usher: Regen
Aus dem Englischen von Meike Blatnik
Lektorat: Christiane Lawall
40 Seiten
ab 4 Jahren
annet­te betz 2017
ISBN: 978–3‑219–11727‑1
14,95 Euro

„Henrietta spürt den Wind“ von Jochen Weeber und Fariba Gholizadeh

Henrietta, genannt Henry, geht in die ers­te Klasse und hat nur ein Hobby: Computerspielen. Egal ob es drau­ßen hell oder dun­kel, Winter oder Sommer ist, Henry sitzt an ihrem Tisch, mit dem Rücken zum Fenster, und spielt Computer. Durch eben­die­ses Fenster kommt eines Frühlingstages mit Krach und Scherben ein Ball geflo­gen: Ole, Paul und Luise aus der Parallelklasse sind schuld, ren­nen aber nicht weg, son­dern schau­en, ob Henrietta okay ist, und fra­gen sie nach ihrem Computerspiel – bei dem man Spinnen, Käfer, Libellen und Frösche fan­gen muss.

Henrietta geht mit den drei­en raus, sie sprin­gen über den Bach, klet­tern auf einen Baum, lie­gen im Gras, beob­ach­ten eine Amsel und lan­den schließ­lich im Wald bei den klei­nen Tümpeln, in denen sich Kaulquappen tum­meln und win­zi­ge grü­ne Frösche. Einen neh­men sie ganz vor­sich­tig hoch und las­sen ihn von Hand zu Hand sprin­gen. Henrietta schließt die Augen, spürt den Frosch in der Hand und hört den Wind in den Bäumen.

Das letz­te Bild im Buch zeigt Henrietta abends im Bett, ihr Vater sitzt auf der Decke, bei­de haben die Augen geschlos­sen und hal­ten eine Hand hoch, als hiel­ten sie einen Frosch …

Wunderbar ist, dass die­ses Bilderbuch ohne erho­be­nen Zeigefinger aus­kommt. Computerspielen wird nicht ver­ur­teilt, son­dern eine Alternative gezeigt: drau­ßen zusam­men mit Freunden spie­len und mit allen Sinnen die Natur erle­ben. Wunderbar sind auch die Illustrationen von Fariba Gholizadeh. Sie sind far­ben­froh, aber nicht schrill, abwechs­lungs­reich, aber nicht unru­hig. So gibt es bei den vier Kindern vier ver­schie­de­ne Haarfarben, ein leuch­ten­des Rot bei Henrietta, bei den ande­ren blond, schwarz und braun. Baumstämme sind weiß, bläu­lich, grün bis braun, und man­che Bäume erin­nern von der Form her an Kaulquappen. Kleine Details fal­len auf, wenn man die Bilder genau­er anschaut, so bekommt die Topfpflanze an Henriettas Fenster mit jedem Bild mehr Blüten, bis sie schließ­lich vom Ball getrof­fen auf den Fußboden fällt. Henriettas Katze spielt wei­ter kei­ne Rolle, sitzt oder läuft aber immer wie­der durchs Bild.

Für ein Bilderbuch hat „Henrietta spürt den Wind“ rela­tiv viel Text, aber in ordent­lich gro­ßer Schrift und mit ein­fa­chen, nicht zu lan­gen Sätzen. Wörter und Bilder har­mo­nie­ren, beson­ders auf den ers­ten Seiten ergän­zen sie sich per­fekt. Kurzum: ein schö­nes Buch, in jeder Hinsicht.

Henrietta spürt den Wind
Text: Jochen Weeber, Illustrationen: Fariba Gholizadeh
32 Seiten
ab 4 Jahren
Patmos Verlag 2017
ISBN: 978–3‑8436–0881‑7
12,99 Euro