„Der Detektiv von Paris“ von Walter Hansen

François Vidocq war der ers­te Detektiv über­haupt, er hat in Frankreich die ers­te Kriminalpolizei der Welt begrün­det und war ver­mut­lich auch der ers­te Privatdetektiv. Angefangen hat er aller­dings als Krimineller, er war in der Unterwelt unter­wegs, sprach die Gaunersprache Rotwelsch, lan­de­te mehr­mals im Gefängnis und schaff­te es immer wie­der, aus­zu­bre­chen. Als er die Seiten wech­sel­te und Direktor der Sûreté Nationale wur­de, wuss­te er, wie Verbrecher ticken. Vidocq wur­de 1775 gebo­ren und starb 1857, eine beweg­te Zeit in Frankreich mit der Französischen Revolution, Napoleon Bonaparte und zahl­rei­chen Kriegen. Sein Leben hat vie­le Schreibende inspi­riert, unter ande­rem Victor Hugo, Honoré de Balzac, Alexandre Dumas, Edgar Allan Poe und Charles Dickens. Und er hat selbst sei­ne Memoiren ver­fasst, 1827 wur­den sie veröffentlicht.

Walter Hansen hat über „das aben­teu­er­li­che Leben des François Vidocq“ ein Buch mit dem Titel „Der Detektiv von Paris“ geschrie­ben, emp­foh­len ist es ab zwölf Jahren. Das Cover hat Maximilian Meinzold gestal­tet, und einer­seits fin­de ich es toll und abso­lut anspre­chend. Andererseits habe ich wegen des Covers eine etwas ande­re Geschichte erwar­tet, eine, die sich zwar an Vidocqs Leben ori­en­tiert, aber mehr Roman und Fiktion als Biografie und Sachbuch ist.

Das Buch ist kurz­wei­lig und span­nend, kei­ne Frage. Aber es bleibt immer eine Distanz zur Figur und zum Menschen Vidocq, man fie­bert nicht rich­tig mit. Das liegt viel­leicht auch dar­an, dass „Der Detektiv von Paris“ erst­ma­lig 1980 erschie­nen ist. Laut Impressum hält man nun eine voll­stän­dig über­ar­bei­te­te und aktua­li­sier­te Ausgabe in der Hand, doch acht­und­drei­ßig Jahre spä­ter wäre Neuschreiben womög­lich bes­ser gewe­sen. Trotzdem soll­te man sich das Buch nicht ent­ge­hen las­sen – es scheint ziem­lich allein auf wei­ter Flur über Vidocq zu infor­mie­ren, der zumin­dest in Deutschland (so mein Empfinden) eher unbe­kannt ist, obwohl er der Begründer der Kriminalpolizei und der ers­te (Privat-)Detektiv war, obwohl sein Leben Stoff für x‑Bücher und ‑Filme böte. Vielleicht taucht er ja irgend­wann aus sei­ner Versenkung wie­der auf, und dann haben alle, die die­ses Buch gele­sen haben, schon mal einen Wissensvorsprung …

Walter Hansen: Der Detektiv von Paris. Das aben­teu­er­li­che Leben des François Vidocq
Lektorat: Emily Huggins
Umschlaggestaltung: Maximilian Meinzold
288 Seiten
ab 12 Jahren
2018 ueberreuter
ISBN: 978–3‑7641–9219‑8
14,95 Euro

„Der Bärenvogelschatz“ von Stella Dreis

Das Buch sieht ein biss­chen aus, als hät­te es schon eini­ge Jahre auf dem Buckel, denn der Einband prä­sen­tiert sich in war­men Sepiatönen. Die Geschichte ist aller­dings zeit­los, es geht um Freundschaft. Der klei­ne Bär ist ein Schatzfinder, er fin­det Knöpfe, Federn, Wolken, Wäscheklammern, schüch­ter­ne Fussel und mehr. Davon will er allen erzäh­len, die er trifft, aber die haben es eilig, etwas ande­res zu tun oder inter­es­sie­ren sich ein­fach nicht für die Bärenschätze. Irgendwann ist der Bär des­we­gen ganz geknickt, doch dann taucht der klei­ne Vogel auf. Und der will auch Schätze suchen, gemein­sam zie­hen sie los …

Die Geschichte kommt mit weni­gen Worten aus, und Worte wie Bilder haben viel Raum in dem Buch. Die Doppelseiten sind abwechs­lungs­reich gestal­tet, mal eine Seite Bild und eine Seite Wörter, mal zwei Seiten Bild, mal zwei Seiten Wörter. Bei den Bildern wie­der­holt sich die Kreisform als eine Art Rahmen, fast als wür­de man durch ein Fernrohr auf das Geschehen schau­en, aller­dings ist das eine durch­läs­si­ge Grenze, Tiere, Pflanzen und Dinge befin­den sich auch mal außer­halb des Kreises. Die Farben sind eher dezent und zurück­hal­tend, im Grau- und Braunbereich, mit ver­ein­zel­ten Farbtupfern, wie auf dem Einband also. Das erin­nert an chi­ne­si­sche und japa­ni­sche Tuschezeichnungen, die Tierfiguren wie­der­um las­sen mich an rus­si­sche Kinderbücher den­ken, vor allem der Bär. Neben Bär und Vogel fällt eine Schnecke ins Auge, sie wird nie erwähnt und greift nicht in das Geschehen ein, ist aber auf vie­len Seiten und nicht zuletzt auf dem Cover zu sehen. Interessant ist der Zeitpunkt, zu dem sie im Buch ihren ers­ten Auftritt hat.

Die Bilder wir­ken sehr lie­be­voll – die klei­nen Wesen, fas­zi­nie­ren­de Pflanzen, viel Sinn fürs Detail. Zeichnerin und Autorin zugleich ist Stella Dreis. Ihr „Bärenvogelschatz“ ist ein schö­nes, ruhi­ges Buch, das vom Suchen und Finden sowohl von Dingen als auch von Freundschaft erzählt.

Stella Dreis: Der Bärenvogelschatz
Mit Illustrationen der Autorin
48 Seiten
ab 4 Jahren
Nilpferd Verlag 2018
ISBN: 978–3‑7074–5216‑7
18 Euro

„Das kleine weiße Pferd“ von Elizabeth Goudge

Die Geschichte spielt im Jahr 1842 und liest sich auch so, sie nimmt die Leserin, den Leser mit in eine ande­re Zeit. Das betrifft nicht nur die Handlung, son­dern alles Drum und Dran, auch die Art und Weise des Erzählens. Das Buch ist nicht gera­de dünn, rund 300 Seiten, die Schrift nicht zu klein, aber auch nicht so groß, wie man es oft bei Kinderbüchern hat, es gibt also ordent­lich was zu lesen. Im Mittelpunkt steht die drei­zehn­jäh­ri­ge Maria Merryweather, die kürz­lich Waise gewor­den ist und mit ihrer Gouvernante Miss Heliotrope von London nach Devonshire zieht, wo ihr ein­zi­ger Verwandter, Cousin Sir Benjamin Merryweather, in einem herr­schaft­li­chen Anwesen – Moonacre Manor – wohnt. Zu dem Haus, einem Schloss fast, gehört ein gro­ßer Park, umge­ben vom Paradiesberg, dem Dorf Silverydew und dem fins­te­ren Kiefernwald.

Maria ist erst skep­tisch, aber schnell merkt sie, dass sie mit ihrem neu­en Zuhause wirk­lich Glück hat­te. Sie hat zum ers­ten Mal in ihrem Leben ein Zimmer ganz für sich, von Mensch bis Tier sind alle nett zu ihr, sie bekommt ein eige­nes Pony, darf in Begleitung des rie­si­gen Hundes Wrolf allein aus­rei­ten und erlebt Abenteuer … Denn Menschen und Tiere in und um Moonacre Manor hüten eini­ge Geheimnisse, die Maria Schritt für Schritt auf­deckt, aber nicht unge­stüm, son­dern mit einer gewis­sen Contenance, wie es sich für eine wohl­erzo­ge­ne jun­ge Dame ihrer Zeit gehört.

Wird das lang­wei­lig? Nein, wird es nicht. Auch wenn das Buch sehr idyl­lisch und mär­chen­haft ist, mit einer gro­ßen Portion Religiosität, zieht es die Leserin, den Leser in sei­nen Bann. Denn die Autorin kann ein­fach gut fabu­lie­ren. Sie schil­dert schwär­me­risch das Essen, das auf­ge­ta­felt wird, beschreibt mit genau­em Blick das Äußere der Personen, gibt klei­nen Dingen und Begegnungen mit Mensch und Tier Raum, sorgt mit den bösen „Schwarzen Männern“ (schwarz geklei­det und schwar­ze Bärte), die im Kiefernwald in einem Kastell hau­sen, für Spannung und webt alles per­fekt zusammen.

Eine wich­ti­ge Rolle spielt logi­scher­wei­se das klei­ne wei­ße Pferd, der Titelgeber des Buches. Aber es sei schon mal ver­ra­ten, dass das Buch kei­ne Pferdegeschichte ist, genau­so wenig wie „Harry Potter“ eine ist. Tja, wie kom­me ich jetzt auf Harry Potter? Hinten auf dem Einband steht ein Zitat von Joanne K. Rowling: „Mein Lieblingsbuch war Das klei­ne wei­ße Pferd von Elizabeth Goudge.“ Und wenn man das weiß, mag einem die ein oder ande­re Interpretation zum klei­nen wei­ßen Pferd ein­fal­len, sozu­sa­gen mit dem Harry-Potter-Blick.

Das Cover mutet ein biss­chen alt­mo­disch an, was zur Geschichte passt, die­se Illustration sowie sämt­li­che im Buch stam­men aus der Originalausgabe, sie sind von C. Walter Hodges. Um das Cover etwas auf­zu­pep­pen, hat der Verlag Glitzer auf­tra­gen las­sen – auf das Pferd, den Mond, den Titel … Das ist okay und bleibt vor allem am Buch (an den Händen braucht das ja wirk­lich nie­mand). Ein klei­nes, prak­ti­sches Extra ist das grü­ne Lesebändchen.

Nachdem ich das Buch fer­tig gele­sen hat­te, goo­gel­te ich noch die Autorin. Elizabeth Goudge wur­de 1900 gebo­ren, das Buch erschien 1946. Mit dem Wissen um die Zeit der Entstehung kann man viel­leicht nach­voll­zie­hen, war­um die Autorin ihre Geschichte im Jahr 1842 spie­len lässt und war­um sie so extrem idyl­lisch und ver­söhn­lich ist. Der Verlag emp­fiehlt das Buch für Kinder ab neun Jahren. Für sie dürf­te das recht unge­wohn­te Lektüre sein, aber ich schät­ze, wenn sie sich dar­auf ein­las­sen, wer­den sie genau­so gefes­selt lesen wie ich als Erwachsene …

Elizabeth Goudge: Das klei­ne wei­ße Pferd
Aus dem Englischen von Sylvia Brecht-Pukallus
Mit Illustrationen von C. Walter Hodges
312 Seiten
ab 9 Jahren
2018 Verlag Freies Geistesleben
ISBN 978–3‑7725–2723‑4
16 Euro