„Fang. Eine Tiergeschichte aus dem achten Stock“ von Jonny Bauer und Stephan Lomp

Darko wohnt in einem acht­stö­cki­gen Hochhaus im ach­ten Stock und ist Tierforscher, er hat eine Spezialweste mit vie­len Taschen und Dingen dar­in (zum Beispiel Knallfrösche und Schnur) sowie ein Tierlexikon. Als es reg­net, will er Regenwürmer fan­gen, doch sei­ne Mama lässt ihn nicht raus. Also angelt er ein­fach aus dem Fenster. Und fängt nach­ein­an­der einen Brillenpelikan, einen Brüllaffen, einen Großen Ameisenbären, einen China-Alligator und einen Waldelefanten. Nicht etwa ganz all­ge­mein einen Pelikan, Affen, Ameisenbären, ein Krokodil und einen Elefanten – ver­ständ­lich, wenn kind ein Tierlexikon hat, und ein char­man­ter Aspekt im Buch. Zumal die Namen durch­aus fan­ta­sie­voll klin­gen, sie sind aber alle­samt echt.

Die fünf Tiere kön­nen ganz selbst­ver­ständ­lich reden und hel­fen eins nach dem and­ren und auf ihre Weise Darko bei sei­nem Regenwurmfangprojekt, doch ohne Erfolg. Als der Regen auf­hört, müs­sen alle schnell raus, da Regenwürmer dann bekannt­lich wie­der ver­schwin­den. Draußen wer­den die fünf Tiere ins Tierlexikon gesaugt, das Darko am Anfang wütend aus dem Fenster geschleu­dert hat­te, und der Regenwurm dane­ben sucht auch das Weite. Darko macht das nichts aus, er freut sich schon auf das nächs­te Regenabenteuer …

Die Illustrationen erstre­cken sich jeweils über eine Seite oder Doppelseite, die Texte sind mal kür­zer und mal län­ger, mit Luft dazwi­schen und in ordent­lich gro­ßer Schrift. Die Tiere sind ein­fach und freund­lich gehal­ten, und sie tau­chen auch nicht erst an der Angel auf, son­dern zuvor in Darkos Zimmer: als Plüschtier, Zeichnung, Spardose oder Dekofigur. Die kann das Kind, dem vor­ge­le­sen wird, ja suchen, wenn es die Geschichte bes­ser kennt.

Für die erwach­se­nen Vorleserinnen und Vorleser bie­tet das Buch eben­falls ein paar Hingucker, vom eher tris­ten Hochhaus über einen Schummelspruch an der Kinderzimmertür bis zur Regelerfindungsversammlung in Sachen Regenwurmjagd. Ein Buch für Hochhauskinder, Regenstunden und alle mit Fantasie, denn man kann die Geschichte gut wei­ter­spin­nen – wel­che Tiere könn­te Darko noch fan­gen? Und wel­che Regenabenteuer könn­te er spä­ter erleben?

Fang. Eine Tiergeschichte aus dem ach­ten Stock
Text: Jonny Bauer, Illustrationen: Stephan Lomp
Lektorat: Kim Laura Franzke
40 Seiten
ab 4 Jahren
2023 annet­te betz
ISBN 978–3‑219–11969‑5
16 Euro

„The truth behind your lies“ von Silke Heimes

Fünf Jugendliche – Emmy, Rod, Ann, Flo und Jens – rei­sen nach dem Abi für zwei Wochen in die Schweiz, in einer Hütte in den Bergen wol­len sie eine gute Zeit haben und abschal­ten, die Handys sol­len off­line blei­ben. Die Hütte hat ein Mitschüler für sie orga­ni­siert, Jan, aller­dings nicht aus Freundschaft, son­dern da er spe­zi­el­le Pläne hat. Die Clique hat­te ihn in der Schule gemobbt, nun will er sich rächen, dazu instal­liert er diver­se Kameras in der Hütte. In einem extra ange­leg­ten YouTube-Kanal will er Videos aus der Hütte ein­stel­len und die fünf bloß­stel­len. Denn Rache ist süß?

Bei sechs Personen und rund 280 Buchseiten hat die Autorin sich dafür ent­schie­den, auf zwei Jugendliche näher ein­zu­ge­hen, mehr über ihren Hintergrund preis­zu­ge­ben: Die Kapitel sind abwech­selnd aus Jans Perspektive und aus der von Emmy erzählt. Der Blick des Außenseiters also im Wechsel mit dem Emmys, die in der coo­len Clique und in der Hütte ist und sowohl in ihrem Blog „back to natu­re“ als auch auf Instagram mög­lichst makel­lo­se Fotos und Posts einstellt.

Es ist nun kei­ne Überraschung, dass die fünf in der Hütte kei­nes­wegs per­fekt sind, sie alle haben ihre Probleme und ihre Art, damit umzu­ge­hen, von Drogen und Alkohohl über Essstörung bis Selbstverletzung. Jan, der Cello spielt, als Haustier eine Maus hat und Bach mag, wohnt wäh­rend­des­sen in einer nahe gele­ge­nen Pension. Mit der Tochter der Besitzer scheint ihn etwas zu ver­bin­den, schnell fühlt er sich ihr näher als Emmy, die trotz des Mobbens bis­her sein Schwarm war.

Die Mischung aus „Urlaub genie­ßen auf Teufel komm raus“ und Rachefeldzug ist, man kann es sich den­ken, ziem­lich explo­siv, zumal es zwi­schen den fünf in der Hütte eben­falls diver­se Spannungen und Unausgesprochenes gibt. Die Ballung von Problemen bei den Jugendlichen ist etwas hef­tig und das Setting mutet eher expe­ri­men­tell als „rea­lis­tisch“ an. Wem gibt die Leserin, der Leser zudem ihre bzw. sei­ne Sympathie, wenn das eins­ti­ge Opfer zum Täter und die Täterinnen und Täter nun zu Opfern werden?

In einer „Nachbemerkung“ schreibt die Autorin – die Medizin stu­diert und als Ärztin in Psychiatrien gear­bei­tet hat –, dass „wir alle in Schwierigkeiten kom­men kön­nen“ und man sich dann Hilfe suchen, aber zugleich für and­re da sein sol­le. In der Geschichte jeden­falls wird das Mit-sich-selbst-Ausmachen auf die Spitze getrie­ben – als abschre­cken­des Beispiel? Das Buch hat eine Triggerwarnung, die jedoch am Schluss steht, der Hinweis dar­auf fin­det sich in klei­ner Schrift vorn über dem Impressum. Ob das auf­fällt und reicht?

Silke Heimes: The truth behind your lies
288 Seiten
ab 14 Jahren
2023 Ueberreuter
ISBN 978–3‑7641–7134‑6
18 Euro

„Da liegt was in der Luft“ von Malin Hörl

Irgendwo in einem klei­nen Ort leben die drei Schwestern Berit, Lotte und Svea, es ist Sommer, ein war­mer, ruhi­ger Tag. Doch Hund Karl merkt es zuerst: Da liegt was in der Luft. Ein Gewitter ist im Anzug, und die Schwestern reagie­ren dar­auf ganz unter­schied­lich: Berit bleibt rela­tiv gelas­sen, Lotte hat Angst, Svea ist vor allem neu­gie­rig, da sie noch nie ein rich­ti­ges Gewitter erlebt hat. Im Verlauf des Gewitters bil­den das Haus und das Draußen Gegenpole: Drinnen ist es ruhig und sicher, außer­halb ist die Natur in Aufruhr, alles scheint in Bewegung, ist ver­dun­kelt und etwas bedroh­lich. Aber nicht so, dass es beängs­ti­gend wir­ken dürf­te, selbst als die dicken, rie­si­gen Gewitterwolken direkt über dem Ort ste­hen, ist da nicht nur Dunkelheit, eher ein nuan­cier­tes Lila mit Blau und auch Helligkeit, und die Blitze sind nicht all­zu zackig, mehr zittrig.

Der ruhi­ge Pol für die drei Schwestern ist ihr Papa, stark und sicher ist er für alle drei da, egal ob sie ängst­lich sind oder nicht. Während des Gewitters geht er mit den Mädchen auf den über­dach­ten Balkon des Hauses und sie beob­ach­ten das Unwetter von dort. Ob so was sinn­voll ist und man nicht bes­ser im Haus blei­ben soll­te, kann ich nicht beur­tei­len, ich wür­de auf jeden Fall das Innere des Hauses vor­zie­hen, wie die Mama der drei Mädchen und Hund Karl …

Das ist viel­leicht eine Botschaft des Buchs: Man muss bei einem Gewitter nicht unbe­dingt Angst haben, aber Respekt ist auf jeden Fall ange­bracht. Schön ein­ge­wo­ben in die Geschichte erfah­ren Kinder, die das Buch vor­ge­le­sen bekom­men, qua­si neben­bei ein paar wich­ti­ge Tipps, wie man sich bei einem Gewitter ver­hal­ten soll­te: falls drau­ßen beim Baden, raus aus dem Wasser; falls im Feld, hin­ho­cken; falls im Haus, Stecker raus­zie­hen usw.

Von Malin Hörl stam­men die Zeichnungen und der Text, sie bil­den eine gelun­ge­ne Einheit. Die Sätze sind ein­fach gehal­ten, aber nicht sim­pel, manch­mal aus­ge­spro­chen poe­tisch: „Svea lauscht. Da ist ein Wind. Ein Flüstern, das an den Zweigen und Blättern zieht und die Bäume dun­kel zum Rauschen bringt.“ Sie fängt die Stimmung vor, wäh­rend und nach einem Gewitter wun­der­bar ein, mit Worten und Bildern. Konturlinien, Schraffuren, sicht­ba­re Zeichenstriche brin­gen Struktur und Bewegung in die Bilder, was hand­ge­macht, leben­dig und „echt“ wirkt.

Das Gewitter ver­zieht sich am Abend, die Mädchen sind müde und wer­den vom Papa ins Bett gebracht, und Svea weiß nun, was sie von Gewittern hält – was, ver­ra­te ich hier natür­lich nicht. Auf dem Buchrücken ganz oben, über dem Titel, ist übri­gens eine klei­ne Wolke mit Blitz. Nur ein Detail, aber eins, das das Buch noch lie­bens­wer­ter macht.

Malin Hörl: Da liegt was in der Luft
Lektorat: Kim Laura Franzke
32 Seiten
ab 4 Jahren
2022 annet­te betz
ISBN 978–3‑219–11933‑6
14,95 Euro