Ein Loblied auf „Seiltanz. Der Autor und der Lektor“

Fangen wir mit dem Titel an. „Der Autor und der Lektor“, wie irri­tie­rend. Klingt eher nach einem Roman als nach einer Anthologie, schließ­lich gibt es Autoren und Autorinnen, Lektorinnen und Lektoren. Lektorinnen wahr­schein­lich mehr als Lektoren, aber das ist jetzt kei­ne Aussage, auf die ich mich fest­na­geln las­sen wür­de. Das Buch ist 2010 im Wallstein Verlag erschie­nen. 2011 muss ein gutes Jahr für die­sen Verlag sein, denn zum einen fei­ert er das 25. Jahr sei­nes Bestehens und zum andern wur­de die Wallstein-Autorin Maja Haderlap für ihren Roman „Engel des Vergessens“ in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis aus­ge­zeich­net, was den Verkaufszahlen mit Sicherheit nicht abträg­lich ist.

Ich habe die­ses Buch schon eine gan­ze Weile bei mir her­um­lie­gen, und zwar nicht, weil ich kei­ne Zeit zum Lesen gehabt hät­te. Es war erst etwas sper­rig, die­ses wei­ße Büchlein mit sei­nen 207 Seiten, das sich eigent­lich ziem­lich schnell lesen lie­ße, wenn es nicht so – viel wäre. Ja, viel, ein bes­se­res Wort fällt mir dafür nicht ein. Die Texte von vier­und­drei­ßig Autoren und elf Autorinnen sind in die­sem Buch ver­sam­melt, in Prosa oder Lyrik haben sie über ihre Arbeit oder ihr Verhältnis zu ihrem Lektor geschrieben.

Was mir fehl­te, war eine Übersicht am Ende des Buches, in der alle Autorinnen und Autoren kurz vor­ge­stellt wer­den, mit eini­gen bio­gra­phi­schen Daten und ihren Werken. Ja, ein Martin Walser ist bekannt, eine Friederike Mayröcker auch, aber bei etli­chen wuss­te zumin­dest ich nicht, um wen es geht. Muss ich also recher­chie­ren, wider die Bequemlichkeit!

Ich hat­te ange­fan­gen zu lesen. Irgendwann merk­te ich, dass ich den Fuß nicht in das Buch bekom­me (sozu­sa­gen) und dass mir ein Steinchen im Mosaik fehlt. Zum Glück fand ich es noch. Das Steinchen hat sogar einen Namen. Es heißt Thorsten Ahrend und ist 2010 fünf­zig Jahre alt gewor­den. Ahrend ist Lektor beim Wallstein Verlag und sein Verleger (und zugleich Herausgeber der Anthologie) Thedel von Wallmoden hat­te aus Anlass die­ses run­den Geburtstages Autorinnen und Autoren gebe­ten, „etwas über ihre sehr per­sön­li­chen Erfahrungen und Eindrücke in der Zusammenarbeit mit einem Lektor mit­zu­tei­len“. Dies steht im Nachwort, das ich tat­säch­lich nicht als Vorwort gele­sen habe, und so fiel mir ledig­lich irgend­wann auf, dass der Namen Thorsten Ahrend in der Anthologie ver­däch­tig häu­fig fiel. Nun weiß ich nicht, wie vie­le Autorinnen und Autoren Thedel von Wallmoden um Auskunft gebe­ten hat­te, aber ver­wun­der­lich ist es nicht, dass sich vor allem die ange­spro­chen gefühlt haben dürf­ten, die ihrem Lektor Thorsten Ahrend ver­bun­den sind.

Ich bin immer noch nicht sicher dar­über, ob es ehr­li­cher gewe­sen wäre, das Buch expli­zit als eine Hommage an den Lektor Thorsten Ahrend aus­zu­wei­sen, gleich zu Beginn, oder ob man es als klei­ne Herausforderung für den Leser sehen soll­te … Nachdem ich erkannt hat­te, dass die meis­ten Texte sich expli­zit an einen, den Lektor Thorsten Ahrend rich­ten, habe ich jeden­falls mit dem Lesen noch mal von vorn ange­fan­gen und es war anders. Denn es ist doch töd­lich lang­wei­lig, wenn ein Autor nur über ‚den‘ Lektor sin­niert, einen all­ge­mei­nen Lektor, kei­nen aus Fleisch und Blut. Da bleibt alles vage, das muss öde sein. Viel span­nen­der ist es, wenn nicht nur die Persönlichkeit des Autors, son­dern auch die des Lektors auf­scheint, wenn man eine Vorstellung von dem Gegenüber des Autors bekommt. Der Autor hat ’sei­nen‘ Lektor, der Lektor ’sei­nen‘ Autor. Es ist etwas ganz Intimes, und das ver­trägt sich nicht mit einem anony­men Lektor. Finde ich.

Wiederum ver­ste­he ich auch, war­um der Anlass des Buches nicht so groß dekla­riert wird, denn mit einem all­ge­mei­nen Titel und vie­len Autorennamen las­sen sich eben mehr Leser und Neugierige errei­chen. Falsch ist das so nicht, da die Autorinnen und Autoren sich nicht an Thorsten Ahrend klam­mern, son­dern tat­säch­lich eine enor­me Vielfalt an Gedanken über die Zusammenarbeit von Autor und Lektor liefern.

Bringt das Buch jeman­dem etwas, der Lektor wer­den will? Nun ja, natur­ge­mäß erfährt man mehr über den jewei­li­gen Autor. Und dar­über, was ein ‚guter‘ Lektor sei­ner Meinung nach leis­tet, was ihn aus­zeich­net. Wie man ein ‚guter‘ Lektor wird, ist hier nicht das Thema. Und es besteht schon die Gefahr, ange­sichts des Lobs der Lektorkoryphäen zu schrump­fen und sich zu fra­gen: Geht das? Krieg ich das hin? Na, man könn­te es ja auch als Ansporn neh­men! Davon abge­se­hen, dass Thorsten Ahrend häu­fig auf­taucht – wer­den als ‚legen­dä­re‘ Lektoren im Buch tat­säch­lich nur Männer genannt, oder habe ich eine Frau über­se­hen? Helmut Frielinghaus, Christian Döring – gibt es kei­ne gro­ßen Lektorinnen? Lediglich eine nennt Thedel von Wallmoden im Nachwort, die Lyrikerin Elisabeth Borchers, die bei Luchterhand und Suhrkamp arbeitete.

Ich schrieb oben bereits, dass die­se Buch ‚viel‘ ist. Man kann viel mit­neh­men, raus­neh­men. Man kann es weg­le­gen, wie­der zur Hand neh­men. Noch mal lesen. Es wird nicht lang­wei­lig, es beschäf­tigt einen.

Ein paar Appetithappen aus dem Buch:

1. Der Lektor als Hebamme und Kritiker
„Ich brau­che zwei­er­lei: den Lektor, der mir hilft, mei­ne Idee zu ent­wi­ckeln, den, der mich anspornt, der nach­fragt, mir zuhört, mich Fehler machen lässt, das Buch in sei­ner frü­hen Form beglei­tet – und dann den zwei­ten, der mich am Ende des Manuskripts emp­fängt, mit offe­nen Armen, aber eben auch mit jenem froh­lo­cken­den Grinsen: O.K., und jetzt kön­nen wir anfan­gen, an Details zu arbei­ten. Die ers­te Beziehung ist eine sokra­ti­sche. Mein Lektor ist eine Hebamme. Die zwei­te eine kri­ti­sche (…).“ (Matthias Göritz)

2. Ein Lektor – zwei Arten
„Es gibt unter den Lektoren Experten für Plot und Geschichten, und es gibt Experten für Stil.“ (Daniel Kehlmann)

3. Der Lektor als Autor
„Aber zumin­dest müss­te er, um ein guter Leser zu sein, auch selbst schrei­ben, und sei­en es auch nur Kritiken und Essays, in denen er selbst die Maßstäbe ent­wi­ckelt, nach denen er die Manuskripte ande­rer beur­teilt.“ (Peter Hamm)

4. Der Autor als Lernender
„Der Autor lernt etwas über sein Schreiben, am Detail. Sicher war die Grammatik nicht das wich­tigs­te. Was zu ler­nen war: Genauigkeit und Respekt vor den Regeln einer Sprache, die natür­lich auch über Bord gewor­fen wer­den konn­ten, aber nur bei vol­lem Bewußtsein.“ (Lutz Seiler)

5. Mein Lektor, mein Gott
„Jedes Wort mei­nes Lektors lege ich auf die Goldwaage. Nicht nur: was sagt er, son­dern auch: wie sagt er es? Welche Worte benutzt er? Wie betont er sie? Macht er län­ge­re Pausen, wäh­rend er mir etwas zu erklä­ren sucht? Was bedeu­tet das?“ (Kai Weyand)

6. Der Lektor ist schuld
„Häufen sich in einer Neuerscheinung ortho­gra­phi­sche Fehler und sti­lis­ti­sche Schnitzer, dann wird nicht sel­ten dem Lektor die Schuld in die Schuhe gescho­ben: ‚Da hät­te das Lektorat sorg­fäl­ti­ger arbei­ten kön­nen‘, beschwert sich der Rezensent. In Wahrheit hat natür­lich der Legastheniker, der als Verfasser fir­miert, mit immer neu­en Änderungen an sei­nem Manuskript alle Beteiligten in den Wahnsinn getrie­ben.“ (Steffen Jacobs)

Ach, es gibt vie­le Sätze in die­sem Buch, die man sich unter­strei­chen möch­te. Und gleich zwei Texte schei­nen titel­ge­bend für die Anthologie gewe­sen zu sein. So bezeich­net Matthias Göritz das Schreiben als „Seiltanzen über dem Abgrund, Aufbruch ins Unbekannte“. Und Günter Kunert schreibt: „Ich gebe zu: Lektor zu sein gleicht der Tätigkeit des Seiltänzers. Einerseits möch­te er den Autor weder krän­ken noch ver­är­gern, ande­rer­seits sieht er jedoch des­sen Schwächen und sprach­li­che Verirrungen, die er guten Gewissens nicht durch­ge­hen las­sen kann.“ Mit Autor und Lektor tref­fen sich also zwei Seiltänzer, die bes­ten­falls harmonieren.

Aber zurück auf den Boden der Tatsachen. Im Buch geht es um Verlagslektoren. Solche, die einen Autor, eine Autorin über län­ge­re Zeit hin inten­siv betreu­en, die nicht nur das Manuskript erhal­ten und es bear­bei­ten, son­dern dar­über hin­aus Bezugsperson sind. Zu lesen ist von Autor-Lektor-Treffen, bei denen das Manuskript Satz für Satz bespro­chen wird. Ein Traum! Das Lektorat ist aller­dings etwas, das in den meis­ten Verlagen zuneh­mend aus­ge­la­gert und in die Hände frei­er Lektoren über­ge­ben wird. Lässt sich unter die­sen Umständen eine sol­che Beziehung auf­bau­en und halten?

Ach, und ein schö­nes Buch ist „Seiltanz. Der Autor und der Lektor“ auch. Hardcover, Schutzumschlag, liegt gut in der Hand. Ich emp­feh­le es wärms­tens! Und um den Kreis zu schlie­ßen: Das Buch der Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap, „Engel des Vergessens“, hat Thorsten Ahrend lek­to­riert. Natürlich.

 

Seiltanz. Der Autor und der Lektor
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Thedel v. Wallmoden
18,00 Euro
Wallstein Verlag Juli 2010
208 Seiten
ISBN: 978-3-8353-0741-4

Wie wär’s mit „Runterschalten“? Ein Ratgeber von Wiebke Sponagel

„Runterschalten.“ Das ist mal ein prä­gnan­ter Titel – ein Wort, und man weiß Bescheid. Jedenfalls habe ich nicht ans Autofahren gedacht, als ich den Titel zum ers­ten Mal las, son­dern ans Arbeiten, und dar­um geht es in dem Buch von Wiebke Sponagel. Es rich­tet sich vor allem an Angestellte wie Wirtschaftsprüfer, Personaler, Manager, IT-Leute. Müllmänner, Bauarbeiter und Krankenschwestern sind zwar im sel­ben Arbeits-Hamsterrad,  für sie dürf­te das Buch aller­dings zu ver­kopft und arbeits­auf­wen­dig sein.

Ja, die­ses Buch lässt sich nicht auf die Schnelle durch­le­sen, es for­dert Zeit und Aufmerksamkeit. Was auch rich­tig ist, denn schließ­lich geht es um einen selbst und um Entscheidungen, die das Leben ändern kön­nen. Wiebke Sponagel ist Coach und Karriereberaterin, dies ist ihr ers­tes Buch. Zunächst zeigt sie, wie die Welt so ist, in der wir leben, Stichworte sind „Speed-Dating“, „Kochen statt Sex“, „Quality Time“ mit der Familie und in der Freizeit (=Privatleben) sowie „Norm-Karriere“, „inne­re Kündigung“, „Stress bis zum Umfallen“ (=Arbeitsleben).

Das Fazit des ers­ten Kapitels ist: Ich muss run­ter­schal­ten! (Sonst bräuch­te ich das Buch ja nicht.) Im zwei­ten Kapitel benö­tigt die Autorin erst mal eini­ge Absätze, um die künf­tig ver­wen­de­te Begrifflichkeit ein­zu­füh­ren. Vom „Lebensschiff“, der „Kunst des Steuerns“, von „Einhand-Seglern“ und vom „Driften“ ist die Rede. Wir befin­den uns also auf hoher See – und dabei woll­te ich etwas über das Runterschalten erfahren?

Der Zweck die­ses See-Bildes, das sich von nun an durch das Buch zieht, ist klar: Die Autorin will den Lesern etwas Praktisches in die Hand geben, das Verstehen und Nachvollziehen erleich­tern, nicht am übli­chen Coaching-Vokabular kle­ben­blei­ben. Bei mir ging das aller­dings nach hin­ten los. Ich habe mit Schiffen und der­glei­chen gar nichts am Hut. Die Begriffe sind mir so fremd, dass sie mich eher irri­tier­ten und ablenk­ten, als dass sie das Lesen flüs­si­ger gemacht hätten.

Doch das Kapitel hat viel zu bie­ten. Es geht um „Schiffbrüche“ (Unfälle, Krankheiten, ver­patz­te Prüfungen, Jobverlust usw.), den Umgang mit ihnen (nach Ursachen suchen, Situation aus ande­rer Perspektive betrach­ten), um „Drift-“ und „Steuerphasen“ im Leben. Und es wird per­sön­lich, denn in mehr als zwan­zig Übungen und Listen soll der Leser her­aus­fin­den, „wel­che Ausrüstung er an Bord hat“. Da wäre das „Workaholic-Barometer“, die Frage nach Stärken, Schwächen, Kompetenzen, Zielen, nach Werten, den Finanzen usw. Die Aufgaben ste­hen nicht ein­fach so im Raum, son­dern sind in Erklärungen und Beispielen ein­ge­bet­tet. Wer sich Zeit zum Antworten nimmt, wird danach bes­ser wis­sen, wo er steht und was er will.

Im drit­ten und letz­ten Kapitel schließ­lich zeigt Wiebke Sponagel Wege zum Runterschalten auf: 1) sich selbst­stän­dig machen (for­dert viel Zeit, Kraft und Aufwand), 2) ange­stellt blei­ben, sich aber ver­än­dern (Sabbatical, kei­ne Überstunden mehr, Teilzeit) sowie 3) einen neu­en Job suchen. Das ist sehr aus­ge­wo­gen dar­ge­stellt, die Autorin geht auf Fragen wie: Wäre das etwas für mich?, Wie geht das?, Wie steht es ums Geld? ein und zum Mutmachen gibt es Interviews mit Leuten, die auf die eine oder ande­re Weise erfolg­reich run­ter­ge­schal­tet haben.

Noch ein paar Fakten zum Buch allgemein:
Der Leser bzw. die Leserin wird direkt ange­spro­chen, die Autorin selbst ver­schwin­det auch nicht hin­ter einem „man“, hin­ter ande­ren Namen und Quellen. Das muss sie nicht, da sie Expertin für das Thema ist und auf einen Fundus von Erfahrungen aus ihrem Coaching-Berufsalltag zurück­grei­fen kann. Der Ton ist eher locker und geer­det, es ist ange­nehm, nicht mit hei­ßer Luft kon­fron­tiert zu wer­den. Gut fin­de ich, dass sich aus den ein­zel­nen Kapiteln mit gro­ßer Wahrscheinlichkeit jeder etwas her­aus­zie­hen kann. Vielleicht einen Hinweis wie bei dem Test „Mein momen­ta­ner Arbeitsplatz“: „Eine hohe Punktzahl deu­tet auch dar­auf hin, dass Sie über­ar­bei­tet sind und Ihre Gesundheit gefähr­det ist.“ Oder Aufmunterung durch die Abhandlung „klas­si­scher“ Stolperfallen auf dem Weg zum Runterschalten. Was mir gefehlt hat beim Lesen, war eine Durchnummerierung der Kapitel und Unterkapitel. Natürlich wird mit unter­schied­li­cher Schriftgröße gear­bei­tet, um eine Hierarchie anzu­zei­gen, doch mit Zahlen wäre es über­schau­ba­rer gewesen.

Und end­lich mein Resümee: Angestellte, die mit ihrem (Berufs-)Leben nicht zufrie­den sind, ans Runterschalten den­ken und sich auf ein Buch-Coaching ein­las­sen wol­len oder Anregungen suchen, dürf­ten mit Wiebke Sponagels Text gut fah­ren. Sie bekom­men vie­le Informationen in die Hand, außer­dem wird es in Checklisten und Übungen ganz per­sön­lich und kon­kret. Insgesamt eine run­de Sache!

Wiebke Sponagel
Runterschalten. Selbstbestimmt arbei­ten – gelas­se­ner leben
Haufe 2011
19,80 EUR
ISBN: 978-3-648-01288-8

Wie ticken die Spanier? So! Der „Fettnäpfchenführer Spanien“ von Lisa Graf-Riemann

Da liegt mal wie­der ein äußerst hüb­sches Buch auf dem Schreibtisch, das Cover zeigt einen Fuß im Ballerina-Schuh und ein Stück Kleid, rot mit wei­ßen Punkten, und klar, das muss was Spanisches sein! Der „Fettnäpfchenführer Spanien“ von Lisa Graf-Riemann will (laut Untertiel) ver­ra­ten, „wie man den Stier bei den Hörnern packt“. Das weiß ich nach dem Lesen zwar immer noch nicht, ich gehe ja noch nicht mal frei­wil­lig über eine Weide mit Kühen ohne Hörner, selbst wenn das eine Abkürzung wäre, aber …

Ja, ich bin jetzt schlau­er als vor­her, was Spanien betrifft, und wäre gern bereit, den Stier im über­tra­ge­nen Sinne bei den Hörnern zu packen, es also vor Ort, zum Beispiel in Madrid oder doch mal wie­der in Gijón, drauf ankom­men zu las­sen. Schade, dass der Urlaub in die­sem Jahr anders­wo­hin geht. Der Stierkampf ist ja ein Fettnäpfchenthema, das war mir schon bekannt, aber wel­che Fülle von Fettnäpfchen Deutsche in Spanien erwar­tet, fand ich doch allerhand.

Der „Fettnäpfchenführer“ ist kein Reiseführer, son­dern ein „Land- und Leuteführer“, der enorm kurz­wei­lig rich­tig vie­le Informationen rüber­bringt. Der Leser beglei­tet Tom und Lena aus Deutschland, die frisch nach Spanien gekom­men sind: Der eine tritt einen neu­en Job in einer Softwarefirma in Madrid an, die ande­re wird einen Sprachkurs in Alicante besu­chen. Wie es den bei­den Deutschen mit WG-Mitbewohnerinnen, Arbeitskollegen, bei Ausflügen, beim Telefonieren, bei Festen usw. ergeht, wird in 33 kna­cki­gen Kapiteln berich­tet, die jeweils in drei Teile unter­glie­dert sind.

Erst kommt immer die Situation:
Zum Beispiel geht Tom mit Geschäftspartnern essen und will dabei eigent­lich über die Arbeit reden. Damit blitzt er aller­dings ab. Sein Sitznachbar fragt ihn, wie er mit der Mentalität der Spanier zurecht­kom­me, wor­auf Tom erzählt, dass er eini­ges nicht ver­ste­he, die Sache mit dem Stierkampf zum Beispiel und die mit der ETA. Damit bringt er das Tischgespräch zum Erliegen.

Dann wird gefragt: „Was ist da schiefgelaufen?“
Die Antwort wäre hier: Bei Businessessen wird nicht übers Geschäft gere­det, poli­ti­sche und kon­tro­ver­se Themen sind zu meiden.

Zuletzt gibt es Tipps: „Was kön­nen Sie bes­ser machen?“
In die­sem Fall: nett und freund­lich sein, sich von der Schokoladenseite zei­gen, kei­ne Themen wäh­len, mit denen man aneckt.

Im eigent­li­chen Text sind zwar schon etli­che Informationen unter­ge­bracht, doch wei­ter­füh­ren­de, aus­führ­li­che­re Erläuterungen wur­den leser­freund­lich in graue Kästchen gepackt. Wenn man will, kann man sich also gleich über spa­ni­sche Käsesorten, „Sorteo de Navidad“ (spa­ni­sche Weihnachtslotterie), Pedro Almodóvar, „Hoy pago yo“ (Heute zah­le ich.) usw. schlau machen – oder das belie­big nachholen.

Sehr schön ist auch, dass spa­ni­sche Wörter und Wendungen hin und wie­der ganz locker und läs­sig in den Text ein­ge­baut und wie­der­holt ver­wen­det wer­den, sodass man am Ende qua­si im Vorbeigehen schon etwas mit­ge­nom­men hat. Hier zeigt sich die Expertin, die die Autorin ist, da sie vie­le Jahr Spanisch unter­rich­tet und Spanisch-Lehrbücher ver­fasst hat. Dass in Spanien eben nicht nur Spanisch gespro­chen wird, und dass Katalanisch und Baskisch kei­ne Dialekte, son­dern eige­ne Sprachen sind, nun, das ist auf jeden Fall gut zu wis­sen! Die Sache mit der „Hispanisierung“ aus­län­di­scher Worte fand ich lus­tig, beson­ders die­ses Beispiel: „Mecklenburgo Antepomerania“. Gefällt mir eigent­lich bes­ser als das Original. ;)

Ich habe die­ses Buch in einem Rutsch gele­sen und bin jetzt, wie gesagt, um eini­ges schlau­er als vor­her. Der „Fettnäpfchenführer Spanien“ ist genau rich­tig für Urlauber, die nicht nur im Hotel sit­zen, Studenten, die ihr Erasmus-Jahr in Spanien ver­brin­gen wol­len und über­haupt alle, die sich für das Land und die Leute inter­es­sie­ren. Dass man dann alle Fettnäpfchen ver­mei­det und sofort ‚his­pa­ni­siert‘ ist, glau­be ich ja nun nicht. Aber man hat auf jeden Fall ein sehr hilf­rei­ches Päckchen geschnürt – nicht zu ver­ges­sen die gro­ße Portion Neugier dar­auf, das alles ‚in echt‘ auszuprobieren …

Ach, Spanien, wie scha­de, dass es die­ses Jahr nichts wird … Aber bald!

Lisa Graf-Riemann
Fettnäpfchenführer Spanien
Conbook Verlag
288 Seiten
10,95 Euro
ISBN 978-3-934918-75-7