Birte Müller: „Willis Welt. Der nicht mehr ganz normale Wahnsinn“

Kann man ein Buch so gut fin­den, dass man beim Bloggen dar­über glatt eine Schreibblockade bekommt? Die Antwort muss ja sein, denn mir ging es mit Birte Müllers „Willis Welt. Der nicht mehr ganz nor­ma­le Wahnsinn“ so, einem gran­dio­sen Buch. Irgendwie hat es doch noch geklappt, zum Glück! Es ist so: Ich lese die dm-Zeitschrift alver­de, wenn ich sie in die Hände bekom­me. In der alver­de bzw. dem Magazin a tem­po dar­in gibt es eine Kolumne, über zwei Jahre lang hat Birte Müller sie ver­fasst, „Willis Welt“ hieß sie. Darin wie auch im Buch geht es um ihre Familie: Birte Müller, ihren Mann Matthias, ihre Tochter Olivia und vor allem um ihren Sohn Willi. Willi hat das Down-Syndrom, was den nor­mal-ver­rück­ten Alltag mit Kindern noch eine Spur extre­mer macht. Birte Müller beschö­nigt da gar nichts, sie schreibt so dar­über, dass man zwar hin und wie­der schlu­cken muss, vor allem aber ein­fach mit­fie­bert, sich manch­mal mitär­gert, oft mitlacht.

Wie bekommt sie das nur hin? Es ist ihr eige­nes Leben, ihr Kind, und da einen gewis­sen Abstand rein­zu­brin­gen, hal­te ich für wirk­lich schwer. Birte Müller gelingt es wun­der­bar. Sie schreibt sehr unmit­tel­bar, inten­siv, doch mit Witz, Überblick, zuwei­len Galgenhumor, auf die­se Weise objek­ti­viert sie das Private, das Erlebte, ohne es belie­big zu machen. Mit den Bildern im Buch ist es auch so. Die Grundlage sind Fotos, die Birte Müller (sie ist übri­gens Illustratorin) etwas ver­frem­det, mal nur mit ein paar Pinselstrichen, mal umfas­sen­der. Willi bekommt zum Beispiel rote Apfelbäckchen und ein Superman-Kostüm, die Schneeflocken sind rie­sig, Essen fliegt durch die Gegend, Willi und Olivia wer­den zu Schneewittchen und den sie­ben Zwergen …

Auf etwas über zwei­hun­dert Seiten erzählt Birte Müller also aus „Willis Welt“. Die Kapitel sind kom­pakt, in sich geschlos­sen, man könn­te sie auch durch­ein­an­der lesen. Aber war­um nicht beim Anfang anfan­gen, mit „Willis Welt – Wie alles begann“, „Gefangen in der Extremnormalität“, „Sondermodell Willi“, „Um uns zu ver­ste­hen: Diagnose-Check“ usw. Wer oder was ist denn eigent­lich „nor­mal“, die­se Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Kapitel, gleich ob es um Communitys, Inklusion, Spießertum, Autowahn, Modekrankheiten oder ein­fach um Alltag geht, nicht umsonst taucht das Wörtchen „nor­mal“ auch im Untertitel des Buches auf.

Und jetzt bin ich an dem Punkt ange­langt, an dem ich zitie­ren, zitie­ren, zitie­ren möch­te, um zu zei­gen, wie gut das Buch ist, statt­des­sen emp­feh­le ich abschlie­ßend aller­wärms­tens, es unbe­dingt zu lesen!

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Birte Müller: Willis Welt. Der nicht mehr ganz nor­ma­le Wahnsinn
1. Auflage 2014
228 Seiten
Verlag Freies Geistesleben
ISBN: 978–3‑7725–2608‑4
19,90 Euro

Zehnmal „Ausgeliebt“ und was damit geschah

Als „Lesefreundin“ habe ich zehn Exemplare von Dora Heldts „Ausgeliebt“ ver­schenkt, das war eine Aktion zum Welttag des Buches am 23. April. Das ers­te Buch war schnell weg, das über­ließ ich mei­ner Stadtbibliothek, die zwar eini­ge Bücher von Dora Heldt hat, „Ausgeliebt“ bis dahin jedoch noch nicht. Zwei wei­te­re Bücher gin­gen eben­falls an Bibliotheken: an eine Stadtteilbibliothek und eine Krankenhausbibliothek. Die rest­li­chen sie­ben Bücher sind Wanderbücher geworden.

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Vorn in die Bücher habe ich einen Zettel geklebt, auf dem steht: „Liebe Leserin, die­ses Buch ist ein Wanderbuch. Was das heißt? Du kannst es lesen. Und dann gibst du es wei­ter: einer Freundin, einer Bekannten, einer Kollegin … Bitte behand­le es gut. Und viel Spaß beim Lesen!“

Ich hof­fe, die Bücher wan­dern lan­ge und machen Lust aufs Lesen.

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Fünf Bücher, letztens gelesen

Ziemlich will­kür­lich habe ich fünf Bücher, die ich in letz­ter Zeit gele­sen habe, her­aus­ge­pickt und ein paar Sätze dazu geschrie­ben. Es muss ja nicht immer eine lan­ge Rezension sein.

  1. Nathanael West: „Der Tag der Heuschrecke“ (2013) -> Das Buch ist 1939 erschie­nen und wur­de jetzt qua­si wie­der­ent­deckt, der Autor ist 1940 gestor­ben. Es spielt in Hollywood Anfang des 20. Jahrhunderts, das fand ich span­nend, doch die Geschichte von Tod Hackett (Kunstmaler), Faye Greener (Statistin) und Homer Simpson (Rentner) hat mich so gar nicht gepackt, nach rund hun­dert Seiten leg­te ich das Buch dann weg, dabei hat es nur zweihundertvierunddreißig.
  2. Jonathan Lenz: „16:32. Gegen die Zeit“ (2012, ab elf Jahren) -> Eine Wahrsagerin sagt im TV live und schre­ckens­bleich für Los Angeles „The Big One“ vor­aus, das gro­ße Erdbeben, und es tritt tat­säch­lich ein: Häuser stür­zen ein, Menschen wer­den ver­schüt­tet und x‑Tausende ster­ben. Der Autor greift sich sechs Personen her­aus und erzählt, was sie in den Stunden vor und nach dem Beben erle­ben – Greg Welbeck (ehe­ma­li­ger Leiter der California Emergency Management Agency), Jennifer Ellis (TV-Reporterin) sowie Matt, Abby, Andy, Binh. Das ist span­nend, aber nicht zu span­nend für das Lesealter, und manch­mal an den Haaren her­bei­ge­zo­gen, wenn sich z. B. ein Junge kurz vor dem Erdbeben in ein Mädchen ver­guckt, für die er dann mit­ten in die Trümmerstadt fährt, um sie aus der U‑Bahn zu retten.
  3. John Williams: „Stoner“ (2013) -> Noch so eine Wiederentdeckung, das Buch wur­de erst­ma­lig 1967 ver­öf­fent­licht. William Stoners Eltern sind arme Farmer in Missouri, den­noch kann er stu­die­ren. Ursprünglich Agrarwissenschaften, doch dann wech­selt er nach einer Art Erleuchtung zu Englisch, sein Leben lang bleibt er an sei­ner Uni, als Dozent. Er hei­ra­tet, bekommt eine Tochter, hat eine Geliebte, mal geht er in sei­ner Arbeit auf, mal ist sie ihm fremd, zwei Weltkriege lau­fen im Hintergrund, Freunde, Feinde … Ein gan­zes Leben, das vor sich hin­plät­schert, so ruhig, ein biss­chen „stoned“, ange­nehm zu lesen, aber irgend­wie doch ziem­lich fremd.
  4. Birgit Dankert: „Astrid Lindgren. Eine lebens­lan­ge Kindheit“ (2013) -> Eine Biografie über Astrid Lindgren, fast drei­hun­dert Seiten, sehr gewis­sen­haft, vie­le Zitate. Der Versuch, sich der gro­ßen Frau, die­sem Phänomen, und ihrem Werk ohne Scheuklappen und rosa Brille zu nähern. Gut zu lesen, aber nach hun­dert Seiten hat­te ich genug davon, viel­leicht spä­ter wieder.
  5. Rosemary Harris: „Der wei­ße Garten“ (2011) -> Ein Gartenkrimi? Ich weiß auch nicht, war­um ich das Buch in der Bibliothek mit­ge­nom­men habe, viel­leicht hat mich der Klappentext gefan­gen. Es hat mich jeden­falls nicht ent­täuscht, ich habs schnell gele­sen und freue mich auf den Folgeband. Paula Holliday hat ihren TV-Job gekün­digt und ist ins klei­ne Städtchen Springfield gezo­gen, wo sie eine Gartenbaufirma grün­det. Ihr ers­ter gro­ßer Job besteht dar­in, den ver­wil­der­ten Garten eines Anwesens, des­sen Besitzerin jüngst gestor­ben ist, wie­der­her­zu­rich­ten. Als sie am Anfang Erdproben nimmt, fin­det sie eine Leiche und stol­pert in eine alte Geschichte, der sie mit­hil­fe der Stadtbewohner auf die Spur kom­men will. Unaufgeregt erzählt, net­ter Humor, sym­pa­thi­sche Heldin. 2013 ist das Taschenbuch unter einem neu­en Titel erschie­nen: „Landliebe und Mordlust“.