„Herr Krake räumt das Meer auf“ von Barbara Rose und Katharina Sieg

Herr Krake kommt von einem Besuch bei der Verwandtschaft in der Tiefsee zurück nach Hause. Dort erwar­ten ihn schon die net­ten Korallen und eini­ge sei­ner Freunde wie Hammerhai Thor, Igelfisch Puffi, Clownfisch Bob und Krabbe Trapezia. Im Wasser trei­ben aller­dings auch noch frem­de, selt­sa­me Wesen, die nichts sagen und sich als recht gefähr­lich ent­pup­pen – ein Schildkrötenkind hat sich an ihnen ver­schluckt und einem Delfin haben sie die Schnauze zuge­pappt. Herr Krake geht bald ein Licht auf: Die „Wesen“ sind Dinge, die die Überwasserbewohner ins Meer ent­sorgt haben, Plastikmüll.

Den Müll wol­len die Meeresbewohner wie­der los­wer­den, aber wie? Ihn direkt aus dem Meer beför­dern hält Herr Krake für kei­ne gute Idee, er will die Überwasserbewohner mit ihren eige­nen Waffen schla­gen. Die Lösung ist so sim­pel wie erfolg­reich und wird hier natür­lich nicht ver­ra­ten. Die Meeresbewohner kön­nen jeden­falls erst mal fei­ern, doch Herr Krake weiß, dass die Arbeit damit noch nicht getan ist, und hofft, dass die Überwasserbewohner kapie­ren, dass das Meer kein Mülleimer ist …

Tja, da dürf­ten die meis­ten Erwachsenen, die das Buch vor­le­sen, deut­lich pes­si­mis­ti­scher sein. Es ist ja bekannt, dass das Meer an allen Ecken und Enden zuge­müllt wird und Plastikmüll ein gigan­ti­sches Problem ist. Und dass zusätz­lich noch genug ande­re Dinge im Meer lan­den, die dort nichts zu suchen haben. Passend für die Zielgruppe, Kinder ab vier Jahren, ist das Bilderbuch hell und freund­lich und opti­mis­tisch. Es ver­mit­telt auf gut ver­dau­li­che Art und Weise die Botschaft, dass kein Müll ins Meer gehört, und am Schluss gibts für die Kinder noch sechs ein­fa­che, leicht umsetz­ba­re (Plastik-)Müllvermeidungstipps, zum Beispiel, kei­ne Plastikstrohhalme und Plastikbesteck zu verwenden.

Die Meeresbewohner mit ihren gro­ßen Augen, run­den Formen und schö­nen Farben erschei­nen ver­traut und sym­pa­thisch, sie ste­hen im Zentrum der Doppelseiten-Bilder. Die Umgebung spielt eine deut­lich unter­ge­ord­ne­te Rolle, war­tet aber mit Details für einen zwei­ten Blick auf, wie das Haus von Herrn Krake. Sogar der Plastikmüll sieht hübsch und gar nicht bedroh­lich aus. Den Platz tei­len Herr Krake und Co. sich mit dem Text, der für ein Bilderbuch rela­tiv umfang­reich, jedoch für mein Empfinden nicht zu lang ist. Ob das Buch bei Kindern einen Eindruck hin­ter­lässt? Man weiß es nicht. Aber die­ses Thema auf­zu­grei­fen und anspre­chend sowie kind­ge­recht umzu­set­zen ist mit Sicherheit eine gute Sache.

Herr Krake räumt das Meer auf
Text: Barbara Rose, Illustrationen: Katharina Sieg
Lektorat: Angela Iacenda
32 Seiten
ab 4 Jahren
2020 annet­te betz
ISBN: 978-3-219-11875-9
14,95 Euro

„Doggerland. Die versunkene Welt“ von Daniel Bleckmann

Irgendwann vor ein paar Monaten las ich einen Artikel über Doggerland, jenes gro­ße Land, das sich vor 10 000 Jahren, in der Steinzeit, dort befand, wo heu­te die Nordsee ist. Anlass des Artikels war eine Ausstellung mit Doggerland-Fundstücken in den Niederlanden. Ein unter­ge­gan­ge­nes Land, span­nend! Die Forschung dazu steht wohl noch rela­tiv am Anfang, ent­spre­chend über­rascht war ich, dass es schon ein Kinderbuch dazu gab: Daniel Bleckmanns „Doggerland. Die ver­sun­ke­ne Welt“.

Die (Adoptiv-)Eltern der zwölf­jäh­ri­gen Zwillinge Leya und Lex for­schen zu Doggerland, in den Sommerferien neh­men sie an einer Expedition in England teil. Die Zwillinge müs­sen mit, da sonst nie­mand auf sie auf­pas­sen kann. Und es ist: lang­wei­lig. Sie sit­zen in einem eng­li­schen Dorf ohne WLAN fest, die ein­zi­ge Abwechslung ist der Pub, in dem sie Cola trin­ken, Dart spie­len und Brexit-Diskussionen lau­schen. Bis die Wirtin sie nach der Expedition fragt, sie von Doggerland erzäh­len und dar­auf­hin von Baumstümpfen vor der Küste, im Watt, erfah­ren, Überreste von Doggerland? Leya und Lex zie­hen gleich los, um sie sich anzu­schau­en – und fin­den weit drau­ßen eine Steinformation, die aus­sieht wie ein Dolmen. Ja, der Dolmen ist ein Tor in die Vergangenheit und die Kinder lan­den in Doggerland.

Dort tref­fen sie gleich auf die Brüder Alif und Shagga vom Stamm der Wasserläufer, ohne die sie sicher ziem­lich auf­ge­schmis­sen gewe­sen wären, denn in Doggerland lau­fen Mammuts und Bären her­um und das Essen muss müh­sam gesam­melt oder gejagt wer­den. Zudem ist der Stamm der Wasserläufer mit dem Stamm der Knochentrinker im Clinch und alle sind miss­trau­isch gegen­über Fremden. Wozu auch eine omi­nö­se Schamanin bei­trägt, die alles ande­re als harm­los ist. Leya und Lex schla­gen sich ganz wacker, wol­len aber den­noch mög­lichst schnell zurück in ihre Zeit. Was nicht so ein­fach ist …

Der Autor zeich­net ein leben­di­ges Bild die­ser Welt vor über 8000 Jahren. Im Nachwort erwähnt er, umfas­send zur Steinzeit und zu Doggerland recher­chiert zu haben, haupt­säch­lich habe er jedoch eine packen­de Abenteuergeschichte schrei­ben wol­len und sich des­halb eini­ge Freiheiten erlaubt. Das Buch ist also kei­ne rei­ne Fiktion, aber auch kei­ne Sachgeschichte. Auf jeden Fall macht es neu­gie­rig auf Doggerland und kann ordent­lich fes­seln. Abwechselnd kom­men Alif, Leya und Lex zu Wort, der Name steht jeweils als Kapitelüberschrift, dazu ein bestimm­tes Tierbild – Alif Mammut, Leya Eisbär, Lex Riesenhirsch –, sodass man auf einen Blick sieht, aus wes­sen Perspektive erzählt wird. Alif spricht im Prinzip ganz nor­mal, der Autor hat sich für ihn bzw. sei­nen Stamm aber ein paar bild­haf­te Begriffe aus­ge­dacht, die am Schluss in einem Glossar ver­sam­melt sind, zum Beispiel „Graupelz“ für Wolf, „Himmelstrommel“ für Donner, „Maa-Mutt“ für Mammut, „Weißregen“ für Schnee. Wie sinn­voll das ist, dar­über lässt sich strei­ten, aber zumin­dest erzeugt das beim Lesen eine gewis­se Distanz und ein Bewusstsein dafür, dass die Menschen vor Tausenden von Jahren anders gespro­chen haben.

Für Lex bräuch­te man teils auch ein Glossar, bei ihm hat der Autor aus dem Vollen geschöpft bei Jugend- und Gamersprache. Etwas dick auf­ge­tra­gen in mei­nen Augen, aber für die Zielgruppe, Kinder ab elf Jahren, wahr­schein­lich okay. Die Zwillingsschwester ist sprach­lich dage­gen völ­lig unauf­fäl­lig, sie enga­giert sich für Tier- und Umweltschutz und steht in ihrer Freizeit zum Beispiel mit dem „Rettet die Eisbären“-Stand vor dem Supermarkt – wenn sie nicht gera­de in der Steinzeit unter­wegs ist. Der Autor hat die Figuren sym­pa­thisch und leben­dig gezeich­net und sie und die Geschichte mit ein paar Eigenheiten ver­se­hen, die im Gedächtnis blei­ben. So taucht unter ande­rem die gene­ti­sche Besonderheit Syndaktylie auf und eben­so die eher neue Erkenntnis, dass in der Steinzeit nicht nur Männer auf die Jagd gin­gen, son­dern auch Frauen. Kurzum: Das Gesamtpaket stimmt!

Daniel Bleckmann: Doggerland. Die ver­sun­ke­ne Welt
Lektorat: Emily Huggins
304 Seiten
ab 11 Jahren
2020 Ueberreuter Verlag
ISBN: 978-3-7641-5197-3
14,95 Euro

„Bretonisch mit Aussicht“ von Gabriela Kasperski

Vermutlich gibt es nicht all­zu vie­le Krimis, in denen eine Buchhändlerin ermit­telt, die­se Idee hat Gabriela Kasperski umge­setzt und lässt nun auf „Bretonisch mit Meerblick“ den zwei­ten Fall für Tereza Berger fol­gen: „Bretonisch mit Aussicht“. Wobei „ermit­teln“ und „Fall für“ es nicht so ganz trifft, denn die Schweizer Buchhändlerin fin­det es zwar span­nend, dem ech­ten Vor-Ort-Kommissar Gabriel Mahon qua­si Konkurrenz zu machen, aber dass sie weder sei­ne Mittel noch sei­ne Expertise hat, ist ihr selbst klar. Was sie jedoch nicht davon abhält, auf eige­ne Faust Antworten zu suchen, als sie am Strand einen berühm­ten Toten ent­deckt und kurz dar­auf eine befreun­de­te, etwas geheim­nis­vol­le Nonne verschwindet.

Tereza Berger aus Zürich lebt mitt­ler­wei­le über ein Jahr in der Bretagne, auf der Halbinsel Crozon. Ursprünglich woll­te sie ein geerb­tes Haus schnell ver­kau­fen, statt­des­sen ist sie ein­ge­zo­gen, hat das Haus reno­viert und dar­in einen deutsch-eng­li­schen Buchladen eröff­net. Land und Leute las­sen sie nicht los – sie ver­tieft in Begleitung der Leserin, des Lesers Bekanntschaften und Freundschaften, lernt die Umgebung und ihre Geschichte und Geschichten bes­ser ken­nen, dies­mal ist ein klei­ner Einblick in die nicht all­zu fer­ne Vergangenheit rund um den Zweiten Weltkrieg inklusive.

Tereza – in den Vierzigern, lan­ge geschie­den und Single, mit zwei erwach­se­nen Kindern – weiß nicht so rich­tig, ob sie besag­ten Kommissar Mahon span­nend oder blöd fin­det. Kann man durch­aus nach­voll­zie­hen, denn der Kommissar ist rup­pig und ziem­lich maul­faul, viel­leicht kommt ja noch was Besseres? Terezas erwach­se­ner Sohn ist auch im Lande und hat in Liebesdingen offen­sicht­lich mehr Glück als sie. Allerdings ist Tereza der­ma­ßen beschäf­tigt mit dem Teilzeit-Ermitteln, dem Buchladen und tau­send ande­ren Dingen, dass sie eine Liebelei nicht wirk­lich zu ver­mis­sen scheint. Sie kommt gut allei­ne klar, hat kein Problem damit, Hilfe von and­ren anzu­neh­men, und ist sowie­so eher der bur­schi­kos-iro­ni­sche als der schwär­me­ri­sche Typ, was sich in einem sehr ange­neh­men Erzähl- und gera­de Gesprächsstil nie­der­schlägt. Hier sind also kei­ne ver­klär­ten, aus­schwei­fen­den Lobgesänge auf das lecke­re fran­zö­si­sche Essen und die schö­ne Landschaft zu befürch­ten. Das wird alles auch erwähnt und geschätzt, aber nicht übertrieben.

Terezas Rastlosigkeit zieht sich durch das Buch, es erschien mir etwas atem­los. Ist aber span­nend und kurz­wei­lig zu lesen und hält wei­ter­hin Frauen-Solidarität hoch, was ich abso­lut löb­lich fin­de. Der kri­mi­nel­le Part ist gut durch­dacht und etwas über­ra­schend gelöst, da blei­ben kei­ne Fragen offen. Andere dafür schon, womit klar ist, dass Tereza Berger wei­ter­macht und im nächs­ten Jahr wohl mit Band 3 zu rech­nen ist.

Gabriela Kasperski: Bretonisch mit Aussicht. Kriminalroman
Lektorat: Susann Säuberlich
288 Seiten
2021 Emons Verlag
ISBN 978-3-7408-1158-7
13 Euro