Helga Bansch: „Am Nordpol ist alles wieder gut“

Der kran­ke Leppo geht in der Nacht mit sei­nem Papa Peppo in einem Heißluftballon auf eine Traumreise. Sie führt in die Wüste, den Dschungel, aufs Meer und zuletzt an den Nordpol. Als Leppo am Morgen auf­wacht, geht es ihm wie­der viel besser.

Die Stationen der Reise pas­sen zu einer Fiebernacht – heiß, kalt, feucht-warm, kühl … Und auch sonst hält „Am Nordpol ist alles wie­der gut“ mit Illustrationen und Text von Helga Bansch jede Menge Entdeckungen parat. Die Bilder – pro Doppelseite eins – sind klei­ne Schätze, so viel­sei­tig: kla­re Konturen, wech­sel­vol­ler Farbauftrag, eher ruhig-gedeckt, aber far­ben­froh mit einer gro­ßen Liebe zum Detail.

Man kann sich die Bilder ein­fach so anschau­en und mit den Worten genie­ßen. Man kann aber auch genau­er hin­schau­en und sich in Details ver­tie­fen. Beispielsweise ist auf jedem Bild Leppos Kuschelbär dabei, außer­dem zwei Plüschmäuse aus dem Kinderzimmer, die mal angeln, schau­keln oder rodeln; auf jedem Bild taucht in ande­rer Form das Muster des Kleides von Leppos Mama auf – gelb mit blau­en Sternen auf wei­ßem Kreis, auch auf dem Buchcover, in Form einer Decke, die Leppo und sei­nen Papa im Heißluftballonkorb umhüllt.

Etliche Dinge oder Tiere aus der Traumreise sind auf dem letz­ten Bild in Leppos Zimmer als Spielzeug zu sehen, ein Hut, ein Schiff, Kuscheltiere, sie haben also ihren Ursprung in sei­nem Alltag. Andere Wesen ent­sprin­gen Leppos Traumfantasie: Über dem Meer flie­gen Chimären, Mischwesen aus ver­schie­de­nen Tieren oder Tier und Mensch, aber das sind freund­li­che, gar nicht grus­li­ge Chimären, die auch unter Wasser Leppo und sei­nen Papa (die im U‑Boot sind) anlächeln.

Eigentlich kann man zu jedem ein­zel­nen Bild eine Geschichte erzäh­len. Wie wär’s?

Helga Bansch: Am Nordpol ist alles wie­der gut
32 Seiten, gebunden
ab 4 Jahren
2015 G&G Verlag, Nilpferd
ISBN: 978–3‑7074–5170‑2
14,99 Euro

Claire A. Nivola: „Das blaue Herz des Planeten. Die Geschichte einer Meeresforscherin“

In dem Buch von Claire A. Nivola geht es um eine Meeresforscherin – und das Meer. Erzählt wird die Lebensgeschichte von Sylvia Earle, US-Amerikanerin, Jahrgang 1935, Pionierin der Meeresforschung. Ich kann­te sie vor­her nicht, umso fas­zi­nie­ren­der war es, eini­ges aus ihrem Leben zu erfah­ren, mit dem Meer als Beruf und Berufung. Es ist ein Bilderbuch mit rela­tiv viel Text, wobei es auch eine Doppelseite gibt, auf der nur ein Satz steht. Ab sechs Jahren wird es emp­foh­len, und das passt gut. Interessant ist es aber auch für Erwachsene.

Sylvia Earle ging schon als klei­nes Mädchen in New Jersey auf Erkundungen, am Teich beim Haus, im nahen Wald, sie beob­ach­te­te die Pflanzen und Tiere. Als sie zwölf war, zog ihre Familie nach Florida, ans Meer. Zum Geburtstag bekam sie eine Schwimmbrille und erkun­de­te nun das Leben im Wasser in Strandnähe. Und so ging es wei­ter, mit der ers­ten Tauchausrüstung, als Forscherin in einem Tiefsee-Unterwasserlabor, an Bord eines U‑Bootes …

Die Bilder gehen fast alle über eine Doppelseite, fül­len sie jedoch nicht aus. Die Pflanzen im Buch – vom Gras bis zum Baum – sind Blatt für Blatt gemalt bzw. getupft, bunt und bewegt sieht das aus: zunächst die an Land, dann die im Meer. Denn im Meer ist auch Leben, und wie! Dennoch wir­ken die Bilder eher unauf­ge­regt, ruhig. Sie erin­nern mich an Werke von Grandma Moses.

Nur fünf Prozent der Ozeane sind bis­her erforscht, ist im Buch zu lesen – über die Planeten im Weltall wüss­ten wir mehr als über das Meer auf der Erde. Und Sylvia Earle ist der Überzeugung, „dass wir uns kaum ernst­haft dar­um küm­mern, es schüt­zen und in unse­re Obhut neh­men wer­den, solan­ge wir nicht mehr über die Wasserwelten wis­sen und in Erfahrung bringen“.

Und so ist es ja auch: Wir mül­len unse­re Meere zu, wir essen Fische, bis es kei­ne mehr gibt, wir sind umge­ben von Wasser, aber es ist uns fremd. Faszinierend, aber fremd. Das Buch gibt ein paar Einblicke in die­se frem­de Welt, stellt ihre Bewohner vor, unter ande­rem Wale und Kaiserfische, die nicht iden­tisch sind, son­dern ver­schie­den, wie jeder Mensch und jedes Tier an Land auch. Das Buch ist kei­ne gar so leich­te Kost wie vie­le Kinder- bzw. Bilderbücher, es will nicht nied­lich, lus­tig, ori­gi­nell usw. sein, son­dern Kindern wie Erwachsenen das Meer näher­brin­gen, ganz im Sinne von Sylvia Earle, die mehr als 7000 Stunden ihres Lebens unter Wasser ver­bracht hat, um „das blaue Herz des Planeten“ zu erforschen.

IMG_4572

Claire A. Nivola: Das blaue Herz des Planeten. Die Geschichte einer Meeresforscherin
Aus dem Englischen von Brigitte Elbe (Originaltitel: Life in the Ocean – The Story of Oceanographer Sylvia Earle)
32 Seiten, gebunden
2015, Verlag Freies Geistesleben
ab 6 Jahren
ISBN: 978–3‑7725–2635‑0
15,90 Euro

„Nutze deine Fantasie … aber pass auf, was du dir wünschst!“ von Nicola O’Byrne

Ein klei­ner Hase lang­weilt sich und wünscht sich, das irgend­et­was pas­siert. Da kommt ein Wolf daher und schlägt vor, sich zusam­men eine Geschichte aus­zu­den­ken. Er sei Buchhändler und ken­ne sich mit Geschichten aus. Der Hase müs­se nur sei­ne Fantasie benutzen.

Der Hase hat jede Menge Ideen, der Wolf will jedoch ein Märchen mit einem Bösewicht (= Wolf) und einem Helden (= Hase), das im Wald spielt. Und dann beginnt die Geschichte – damit, dass der Wolf den Hasen jagt. Diese Geschichte gefällt dem Hasen gar nicht, er bleibt ste­hen und nutzt end­lich sei­ne Fantasie, wie er es will, zeigt dem Wolf, wes­sen Geschichte es ist und wer ihr Held ist – er, der Hase!

Hase und Wolf lau­fen auf zwei Beinen und reden, auch von Mimik und Gestik wir­ken sie recht mensch­lich, das nimmt dem Wolf den Schrecken. Er hat zwar spit­ze Zähne, sieht aber nicht all­zu wöl­fisch aus. Der Hase ist extrem nied­lich mit sei­nen lan­gen Ohren, der rosa Nase, den wei­ßen Pfötchen, wie ein klei­nes Kind ist er neu­gie­rig und arg­los. Aber für dumm ver­kau­fen lässt er sich nicht. Gut so!

Die Seiten sind im Grunde weiß, was Ruhe rein­bringt und die Aufmerksamkeit auf Hase und Wolf lenkt. Meist sind nur die zwei zu sehen sowie die Worte, zum Teil in ver­schie­de­nen Schrifttypen und ‑grö­ßen, mal fett, mal kur­siv. Lediglich am Schluss geht die Post bzw. die Rakete ab und auf einem Ausklappposter, das vier Buchseiten groß ist, wird aus dem irdi­schen Weiß ein himm­li­sches Blau.

Also: sehr schö­ne Zeichnungen, eine gute Geschichte und ein Happy End, für den Wolf viel­leicht nicht ganz, aber wer weiß schon, wohin ihn die Fantasie des Hasen bringt? Was mich nicht so rich­tig los­lässt, ist, dass der Wolf sagt, er sei Buchhändler. Im eng­li­schen Original steht „libra­ri­an“, also Bibliothekar. Warum hat die Übersetzerin aus dem eng­li­schen Bibliothekar einen deut­schen Buchhändler gemacht – kön­nen Kinder hier­zu­lan­de damit mehr anfan­gen? Der Hase erwi­dert jeden­falls, der Wolf sehe nicht wie ein Buchhändler aus, und dar­auf folgt ein Dialog wie in „Rotkäppchen“ am Bett der Großmutter bzw. des ver­klei­de­ten Wolfes. Vermutlich brauch­te die Autorin und Illustratorin Nicola O’Byrne einen Experten, der was von Fantasie ver­steht und den Hasen anlei­ten könn­te. Aber aus­ge­rech­net ein Bibliothekar bzw. Buchhändler? Nun ja, las­sen wir das.

Auf der Rückseite hat das Buchcover übri­gens eine vier­ecki­ge Aussparung, durch die der Hase qua­si aus dem Buch schaut. Da muss man das Buch ein­fach in die Hand neh­men und es auf­schla­gen, und liest auf der letz­ten Seite: „Ist Fantasie nicht etwas Wunderbares?“ Ja, das ist sie.

IMG_1090

Nicola O’Byrne: Nutze dei­ne Fantasie … aber pass auf, was du dir wünschst!
Aus dem Englischen von Constanze Steindamm (Originaltitel: Use your ima­gi­na­ti­on but be careful what you wish for!)
36 far­bi­ge Seiten, 23,8 cm x 29,9 cm
2015 Lappan Verlag
ISBN: 978–3‑8303–1225‑3
12,95 Euro