„Eine Messerspitze voll Magie“ von Lisa Graff

Willkommen in Cadys Welt, in der die meis­ten Menschen ein beson­de­res Talent haben. Dieses Talent muss kei­ne gro­ße Sache sein: zum Beispiel kann ein Junge sehr gut spu­cken, ein ande­rer Junge ver­schwin­det, wie er lus­tig ist (prak­tisch, wenn er sei­ne Ruhe haben will), eine Frau strickt schnell und wun­der­schön. Und Cady, die Hauptperson von Lisa Graffs „Eine Messerspitze voll Magie“, backt für jeden den per­fek­ten Kuchen, den Seelenkuchen sozusagen.

Cady lebt im Waisenhaus von Miss Mallory, als ein­zi­ges Kind, denn Miss Mallory hat das Talent, für ihre Waisenkinder umge­hend die rich­ti­ge Familie zu fin­den. Nur bei Cady funk­tio­niert das nicht, sie ist, seit sie ein Baby war, bei Miss Mallory. Doch als sie elf ist, kommt Bewegung in ihr Leben, durch eine Reihe von Personen, die auf ver­schie­de­ne Weise etwas mit Cady bzw. mit­ein­an­der zu tun haben – was genau, bleibt aber lan­ge im Dunkeln.

Die Autorin Lisa Graff erzählt Cadys Geschichte ein wenig unge­wöhn­lich. Nicht gerad­li­nig von A nach B aus Cadys Sicht, son­dern häpp­chen­wei­se: ein Kapitel Cady, ein Kapitel Toby, ein Kapitel Miss Mallory usw. Bis alle Fäden zusam­men­kom­men und die Geschichte ein run­des Ganzes ergibt, dau­ert es fast 216 Seiten, also bis zum Schluss. Sehr mys­te­ri­ös. Rätselhaft auch der Mann, der Talente klaut, die Frau, die ihr Gedächtnis und die Worte ver­lo­ren hat, die puder­blau­en Koffer und eini­ges mehr.

Zwischen den Kapiteln gibt es hin und wie­der Kuchenrezepte, die „Seelenkuchen“ der Personen, die im Buch eine Rolle spie­len. Die Rezepte sind recht aus­führ­lich, man kann sie also gut nach­ba­cken, zum Beispiel Marigolds Limonensandkuchen, Vs mys­te­riö­se Muffins und Mrs Ashers Honigkuchen.

Das Buch als Kuchen wäre leicht und fluf­fig und wür­de nicht schwer im Magen lie­gen. Es ist für alle ab elf Jahren, die rät­sel­haft-nebu­lö­se Schmöker mit einer Portion Magie schät­zen und viel­leicht auch gern selbst mal einen Kuchen backen.

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Lisa Graff: Eine Messerspitze voll Magie
Aus dem Amerikanischen von Alexandra Ernst
Illustriert von Felicitas Horstschäfer (Umschlag), Irmtraud Guhe (Innenillus)
ueber­reu­ter 2014
216 Seiten
12,95 Euro
ISBN: 978–3‑7641–5035‑8
Ab 11 Jahren

Birte Müller: „Willis Welt. Der nicht mehr ganz normale Wahnsinn“

Kann man ein Buch so gut fin­den, dass man beim Bloggen dar­über glatt eine Schreibblockade bekommt? Die Antwort muss ja sein, denn mir ging es mit Birte Müllers „Willis Welt. Der nicht mehr ganz nor­ma­le Wahnsinn“ so, einem gran­dio­sen Buch. Irgendwie hat es doch noch geklappt, zum Glück! Es ist so: Ich lese die dm-Zeitschrift alver­de, wenn ich sie in die Hände bekom­me. In der alver­de bzw. dem Magazin a tem­po dar­in gibt es eine Kolumne, über zwei Jahre lang hat Birte Müller sie ver­fasst, „Willis Welt“ hieß sie. Darin wie auch im Buch geht es um ihre Familie: Birte Müller, ihren Mann Matthias, ihre Tochter Olivia und vor allem um ihren Sohn Willi. Willi hat das Down-Syndrom, was den nor­mal-ver­rück­ten Alltag mit Kindern noch eine Spur extre­mer macht. Birte Müller beschö­nigt da gar nichts, sie schreibt so dar­über, dass man zwar hin und wie­der schlu­cken muss, vor allem aber ein­fach mit­fie­bert, sich manch­mal mitär­gert, oft mitlacht.

Wie bekommt sie das nur hin? Es ist ihr eige­nes Leben, ihr Kind, und da einen gewis­sen Abstand rein­zu­brin­gen, hal­te ich für wirk­lich schwer. Birte Müller gelingt es wun­der­bar. Sie schreibt sehr unmit­tel­bar, inten­siv, doch mit Witz, Überblick, zuwei­len Galgenhumor, auf die­se Weise objek­ti­viert sie das Private, das Erlebte, ohne es belie­big zu machen. Mit den Bildern im Buch ist es auch so. Die Grundlage sind Fotos, die Birte Müller (sie ist übri­gens Illustratorin) etwas ver­frem­det, mal nur mit ein paar Pinselstrichen, mal umfas­sen­der. Willi bekommt zum Beispiel rote Apfelbäckchen und ein Superman-Kostüm, die Schneeflocken sind rie­sig, Essen fliegt durch die Gegend, Willi und Olivia wer­den zu Schneewittchen und den sie­ben Zwergen …

Auf etwas über zwei­hun­dert Seiten erzählt Birte Müller also aus „Willis Welt“. Die Kapitel sind kom­pakt, in sich geschlos­sen, man könn­te sie auch durch­ein­an­der lesen. Aber war­um nicht beim Anfang anfan­gen, mit „Willis Welt – Wie alles begann“, „Gefangen in der Extremnormalität“, „Sondermodell Willi“, „Um uns zu ver­ste­hen: Diagnose-Check“ usw. Wer oder was ist denn eigent­lich „nor­mal“, die­se Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Kapitel, gleich ob es um Communitys, Inklusion, Spießertum, Autowahn, Modekrankheiten oder ein­fach um Alltag geht, nicht umsonst taucht das Wörtchen „nor­mal“ auch im Untertitel des Buches auf.

Und jetzt bin ich an dem Punkt ange­langt, an dem ich zitie­ren, zitie­ren, zitie­ren möch­te, um zu zei­gen, wie gut das Buch ist, statt­des­sen emp­feh­le ich abschlie­ßend aller­wärms­tens, es unbe­dingt zu lesen!

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Birte Müller: Willis Welt. Der nicht mehr ganz nor­ma­le Wahnsinn
1. Auflage 2014
228 Seiten
Verlag Freies Geistesleben
ISBN: 978–3‑7725–2608‑4
19,90 Euro

Zehnmal „Ausgeliebt“ und was damit geschah

Als „Lesefreundin“ habe ich zehn Exemplare von Dora Heldts „Ausgeliebt“ ver­schenkt, das war eine Aktion zum Welttag des Buches am 23. April. Das ers­te Buch war schnell weg, das über­ließ ich mei­ner Stadtbibliothek, die zwar eini­ge Bücher von Dora Heldt hat, „Ausgeliebt“ bis dahin jedoch noch nicht. Zwei wei­te­re Bücher gin­gen eben­falls an Bibliotheken: an eine Stadtteilbibliothek und eine Krankenhausbibliothek. Die rest­li­chen sie­ben Bücher sind Wanderbücher geworden.

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Vorn in die Bücher habe ich einen Zettel geklebt, auf dem steht: „Liebe Leserin, die­ses Buch ist ein Wanderbuch. Was das heißt? Du kannst es lesen. Und dann gibst du es wei­ter: einer Freundin, einer Bekannten, einer Kollegin … Bitte behand­le es gut. Und viel Spaß beim Lesen!“

Ich hof­fe, die Bücher wan­dern lan­ge und machen Lust aufs Lesen.

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