„Holt mich hier raus! T. Rolles unzensiertes Pannenprotokoll“ von Dina El-Nawab

Passt das Coverbild zur Geschichte? Ja, das Coverbild passt zur Geschichte, und zwar sehr gut. Die Geschichte ist ziem­lich durch­ge­knallt: Tobias Rolle, drei­zehn Jahre alt, Quasselstrippe und Sportfreak, hat mit sei­nen Freunden eine Wette lau­fen und stol­pert des­we­gen in ein Chemieexperiment, das für ihn haar­sträu­ben­de Folgen hat. Er tauscht näm­lich – unfrei­wil­lig! – den Körper mit sei­ner unschein­ba­ren, unsi­che­ren Chemielehrerin Frau Lunte.

Neu ist die Idee nicht, es gibt mit Sicherheit schreck­lich vie­le Bücher zum Thema Körpertausch, aber es wach­sen ja auch stän­dig neue Leserinnen und Leser nach, und für die kommt das Buch gera­de rich­tig. Tobias ist nach dem Körpertausch immer noch Tobias, bloß eben in einem frem­den Körper, und das zieht die Autorin des Buches, Dina El-Nawab, kon­se­quent durch. Tobias ist nicht plötz­lich geni­al in Chemie, er fühlt sich unter Lehrerinnen und Lehrern im Lehrerzimmer wie gehabt als Schüler, also fehl am Platz, kann mit einer eige­nen Wohnung (der von Frau Lunte) nicht all­zu viel anfan­gen usw. Weil das so ist, kommt er immer wie­der in brenz­li­ge bis pein­li­che Situationen und hat das Ganze bald ein­fach nur noch satt. Bloß dumm, dass Frau Lunte sich in Tobias‘ Körper ziem­lich wohl­fühlt und kei­ne Lust hat, in ihr eige­nes Leben mit einem auf­dring­li­chen Kollegen, einer unmög­li­chen Klasse und ande­ren Tiefschlägen zurückzukehren.

Was jetzt, Tobias? Er braucht Hilfe und fin­det die viel­leicht bei sei­nen Freunden Hugo (schlau mit Zahlen), Justus (schlau mit Wörtern) und Olli (Handyfreak), und Hannah aus sei­ner Klasse mischt auch noch mit, das ein­zi­ge Mädchen, das Tobias „nor­mal“ fin­det und mit dem er sich vor­stel­len könn­te, ins Kino zu gehen. Da Tobias sozu­sa­gen selbst erzählt und sein Lesepublikum immer mal direkt anspricht, kommt der gute alte Lesesog im Handumdrehen – und bleibt, weil die Geschichte ein­fach rasant, lus­tig, ver­rückt, auch mal nach­denk­lich und nicht völ­lig über­dreht ist, und weil die Autorin mit Wortwitz, Schlagfertigem und Tobias-schlau­en Wendungen nicht spart.

„Holt mich hier raus!“ gilt also nur für Tobias in sei­ner miss­li­chen Situation, aber nicht für die, die das Buch lesen, die dürf­ten die knapp 230 Seiten recht schnell durch­ha­ben. Aufgelockert wird der Text durch eini­ge Illustrationen und prä­gnan­te Kapitelangaben in Stempelform. Das passt, wackelt und hat Luft, wie es so schön heißt, und ist gute Körpertausch-Unterhaltung für alle ab zehn Jahren.

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Dina El-Nawab: Holt mich hier raus! T. Rolles unzen­sier­tes Pannenprotokoll
Illustrationen von Alexander von Knorre
Lektorat: Kathleen Neumann
240 Seiten
ab 10 Jahren
ueber­reu­ter 2016
ISBN: 978-3-7641-5081-5
14,95 Euro

„Greta und die magischen Steine“ von Paul Maar und Helga Bansch

Ruhige Farben, ruhi­ge Bilder, Ruhe strah­len auch die Worte aus: In „Greta und die magi­schen Steine“ geht es um ein Mädchen, des­sen Vater auf der Suche nach Gold übers Meer weg­ge­fah­ren und nicht wie­der­ge­kom­men ist, Greta und ihre Mutter kom­men nur gera­de­so über die Runden. Das Buch spielt in einer Zeit ohne Smartphone und Co., als nicht nur die Nächte, son­dern auch die Tage ruhig waren, zumin­dest in den Dörfern, nur die Stimmen der Menschen und die Laute der Tiere waren zu hören, wes­we­gen die „gehei­men Geschöpfe“ sich manch­mal den Menschen zeig­ten: Zwerge und wei­ße Gestalten, die Engel, Elfen oder Feen sein konnten.

Eines Tages kommt eine alte Frau zu Gretas Haus und erbit­tet Milch, die Gretas Mutter jedoch nicht ver­schen­ken, son­dern nur ver­kau­fen will, da sie jeden Pfennig brau­chen. Greta gibt der Frau heim­lich einen Becher Milch, wor­auf­hin die­se sie fragt, ob sie ihren Vater ver­mis­se und war­um sie ihn nicht suche: „Wenn du ihn nicht suchst, wird er nicht kom­men“, sagt die Frau.

Und so geht Greta mit dem Hund Karo zum Meer und war­tet dort. Wird ihr Vater zurück­keh­ren? Und wel­che Rolle spie­len die „magi­schen Steine“? Die ers­te Frage beant­wor­tet das Buch, doch vie­les ande­re bleibt offen, in der Schwebe, nichts wird erklärt, weil nichts erklärt wer­den muss. Wunderschön das Bild am Schluss, auf dem Karo der Hund lächelt, das rührt mich jedes Mal wie­der, die pure Freude, ohne aus dem Tier eine Karikatur zu machen. Helga Bansch schafft das, wenn man die Bilder anschaut, kann man sich kei­ne ande­ren zum Text vor­stel­len, die Illustratorin hat ihre ganz eige­ne Bildsprache, die mit dem Text, der Geschichte eine Einheit bil­det. Einfach, unauf­ge­regt, ruhig, aber vol­ler Tiefe.

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Greta und die magi­schen Steine
Text: Paul Maar, Illustrationen: Helga Bansch
40 Seiten
ab 5 Jahren
annet­te betz 2016
ISBN: 978-3-219-11695-3
14,95 Euro

„Jem hört die Haie husten“ von Andreas Hüging

Jem ist elf und ver­bringt drei Wochen sei­ner Sommerferien mal wie­der auf der Nordseeinsel Hummerstrand. Aber nicht in einem Hotel oder Ferienhaus mit sei­nen Eltern, son­dern im Kurheim „Haus Horizont“, zusam­men mit ande­ren Kindern und Jugendlichen, die ent­we­der wie er „Lunge haben“ oder im Rollstuhl sit­zen, Spastiker sind usw. Lieber wäre er mit sei­nen Eltern in Griechenland, doch sein Vater will Extremsport machen und sei­ne Mutter (sagt zumin­dest der Vater) braucht mal ihre Ruhe.

Jems Lunge kommt ziem­lich schnell an ihre Grenzen, wes­we­gen er immer sein Lungenspray dabei­hat. Ausgiebig Sport machen ist für ihn nicht drin, aber ansons­ten ist er ein stink­nor­ma­ler Junge. Einer, der befürch­tet, dass die Ferien im „Hoz“, wie alle das Kurheim nen­nen, ein­fach nur lang­wei­lig wer­den. Das wer­den sie aller­dings so gar nicht: Gleich am Anfang taucht an der Inselküste ein Hai auf und Jem fin­det in sei­nem Tiramisu einen Zettel mit einer Geheimbotschaft. Als er dem Hai nach­spürt und die Botschaft ent­schlüs­selt, steckt er schon mit­ten­drin in einem Abenteuer. Beziehungsweise, sie­he Untertitel des Buches: in der „kri­mi­nells­ten Kur-Geschichte aller Zeiten“ – mit einem Verbrechen, etli­chen Verdächtigen und nicht nur einem, son­dern drei Amateur-Ermittlern.

Denn Jem ist nicht allein unter­wegs, son­dern mit der quir­li­gen Flo (sitzt im Rollstuhl) und dem super­schlau­en Bernd (ist Spastiker). Und er merkt bald: Freunde sind wirk­lich das Beste, was einem pas­sie­ren kann, wenn selt­sa­me Dinge gesche­hen, nie­mand einem glaubt, alle Erwachsenen vor Ort irgend­wie ver­däch­tig erschei­nen und die Eltern am Rad drehen …

Das Buch ist rich­tig gut geschrie­ben, es bleibt bis zum Schluss span­nend und ist zwar wit­zig, aber nicht flach, man wird in Nullkommanichts mit Jem und Co. warm und bleibt bei den lei­se­ren Szenen auch mal län­ger hän­gen. Ein abso­lu­ter Hingucker ist das Cover, das Nina Dulleck gestal­tet hat, und als Extra gibt’s auf den Buchseiten unten ein Hai-Daumenkino.

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Andreas Hüging: Jem hört die Haie hus­ten. Die kri­mi­nells­te Kur-Geschichte aller Zeiten
Lektorat: Kathleen Neumann
Umschlagillustration: Nina Dulleck
184 Seiten
ab 10 Jahren
ueber­reu­ter 2016
ISBN: 978-3-7641-5097-6
12,95 Euro