„Opapi-Opapa. Besuch von den Krawaffels“ von Paul McCartney

Als ich das Buch zum ers­ten Mal in den Händen hielt, hat­te ich gleich gute Laune: Das Cover ist wun­der­bar gestal­tet. Die fünf Hauptpersonen im Mittelpunkt, in einem Kompass, Opapa mit sei­nen vier Enkelkindern, die er „Krawaffels“ nennt, drum­her­um eine Weltkarte. Macht neu­gie­rig, ist bunt und ein­la­dend, mit vie­len Details, aber nicht über­la­den – und das gilt eigent­lich für das gan­ze Buch.

„Opapi-Opapa“ heißt es, ange­lehnt an den Beatles-Song „Obladi-Oblada“. Im Original lau­tet der Titel „Hey Grandude!“ (wie „Hey Jude“), und die Enkelkinder sind die „Chillers“. Dass „Hey Grandude!“ und „Chillers“ nicht ein­fach gelas­sen, son­dern über­setzt wur­den, ist das Einzige, was mir an dem Buch nicht passt. „Opapi-Opapa“ klingt für mich leicht alt­ba­cken, „Hey Grandude“ nicht, das ist eine super Wortschöpfung, gera­de mit Blick auf den pro­mi­nen­ten Autor des Buchs, Paul McCartney, und wenn Kinder das noch nicht ver­ste­hen, kann man ihnen das sicher pro­blem­los erklä­ren … „Opapi-Opapa“ ist kein voll­wer­ti­ger Ersatz, das merkt man auch im Buch. Und „chill mal“ ist mitt­ler­wei­le durch­aus im Deutschen ange­kom­men, wohin­ge­gen ich mich gefragt habe, was „Krawaffels“ bedeu­ten soll und wie die Übersetzerinnen dar­auf gekom­men sind …

Das ist also etwas scha­de, ändert aber nichts dar­an, dass das Buch Spaß macht. Es nimmt Kinder und Erwachsene mit auf eine aben­teu­er­li­che Fantasiereise, die mit Langeweile beginnt. Lucy, Tom, Em und Bob sind übers Wochenende bei ihrem Opa, das Wetter ist mies, die Laune auch, da kommt der Opa mit alten Postkarten an. Mithilfe sei­nes magi­schen Kompasses rei­sen die fünf an drei Orte, die auf drei Postkarten zu sehen sind: an einen Traumstrand mit Fliegenden Fischen, in den Wilden Westen mit einem Cowboy und in die Schweizer Berge mit net­ten Kühen. Alles wun­der­schön, wenn nicht jeweils etwas pas­sie­ren wür­de, das die Reisenden aus den Idyllen ver­treibt, sodass sie am Schluss ganz froh sind, wie­der in Opapas Haus zu landen.

Die Geschichte wird mit weni­gen Sätzen (in gro­ßer Schrift) und mit ein­fach tol­len Bildern erzählt, toll ist auch, dass sich mit den Enkelkindern ganz ver­schie­de­ne Lesekinder iden­ti­fi­zie­ren kön­nen: Es sind zwei Jungs und zwei Mädchen, es gibt rote, blon­de, dunk­le Haare, lan­ge und kur­ze, glat­te und locki­ge, eine Brille, Mützen usw. Der Opa ist natür­lich ein ziem­li­cher Traumopa: sehr ent­spannt, dabei sou­ve­rän, wenns brenz­lig wird, in sei­ner lege­ren Anzugjacke, mit Weste, Mini-Melone und Zöpfchen. Und voll und ganz für sei­ne Enkelkinder da. So soll es sein …

Paul McCartney: Opapi-Opapa. Besuch von den Krawaffels
illus­triert von Kathryn Durst
aus dem Englischen von Judith Holofernes und Cornelia Holfelder-von der Tann
Lektorat: Christiane Lawall
40 Seiten
ab 4 Jahren
2019 annet­te betz
ISBN: 978–3‑219–11821‑6
14,95 Euro

„Pass auf!“ von Silvia Borando

Die Geschichte kommt tat­säch­lich gänz­lich ohne Worte aus, nie­mand sagt etwas, nie­mand erzählt etwas. Man sieht es auf dem Cover: Die Farben und Formen sind ein­fach und klar, die Bilder über­sicht­lich und schnell zu erfas­sen. Es gibt bloß zwei Szenarien: den Blick von drau­ßen auf ein klei­nes Haus, genau­er: auf ein hell erleuch­te­tes Fenster – und den Blick von drin­nen auf einen klei­nen, kah­len Baum im Schnee. Es schneit, und am Fenster sit­zen zwei Kinder und schau­en hin­aus zum Baum. Im Wechsel sieht man die Gesichter der Kinder und den Baum. Am Baum tut sich was, ein Vogel taucht auf. Und dann noch ande­re Tiere. Klingt lang­wei­lig? Ist es nicht. Es ist qua­si Fenstertheater, fast ein Fensterkrimi. Was sich drau­ßen abspielt, darf natür­lich nicht ver­ra­ten wer­den. Nur so viel: Wie sich mit weni­gen gestal­te­ri­schen Mitteln und, wie bereits erwähnt, ganz ohne Worte eine fes­seln­de Bildergeschichte ent­wi­ckelt, ist echt faszinierend.

Das Buch hat natür­lich doch eini­ge weni­ge Worte, und zwar die, die auf dem Einband ste­hen – Autorin, Titel, Verlag, Klappentext. Es ist klein und fein, wun­der­bar für den Winter.

Silvia Borando: Pass auf!
Originaltitel: Guarda fuori
44 Seiten
ab 3 Jahren
2019 Verlag Freies Geistesleben
ISBN 978–3‑7725–2921‑4
14 Euro

„Lass mich!“ von Kathrine Nedrejord

Das ist mal wie­der ein Buch, das mir zu den­ken gege­ben hat, in der Hauptsache geht es um eine Freundschaft, in der eine Person aus­ge­nutzt, mani­pu­liert und her­ab­ge­wür­digt wird. Ich-Erzählerin ist Anna, fünf­zehn Jahre, die mit ihrer Mutter, einer Samin, in einer klei­nen nor­we­gi­schen Stadt lebt, ihren Vater nicht kennt und eine ein­zi­ge Freundin hat, Amanda. Amanda sieht „nor­we­gisch“ aus, Anna nicht. Amanda ist offen, geht auf Leute zu, hat kein Problem damit, im Mittelpunkt zu ste­hen. Anna wird rot und bekommt kaum einen Satz her­aus, wenn ein Junge sie anspricht. Und damit beginnt das Buch: Ein Junge, Samuel, spricht sie im Kiosk an und dringt in ihr Leben ein. Er bean­sprucht einen Platz dar­in und ist damit ein Konkurrent für Amanda.

Amanda will die Einzige sein, sie hat ande­re Freundinnen und Beziehungen zu Jungs, Anna jedoch muss berich­ten, mit wem sie redet und was sie macht, alles muss sie erzäh­len, ande­re Freundinnen darf sie nicht haben. Es ist ein ziem­lich kras­ses Bild, das die Autorin, Kathrine Nedrejord, von die­ser Beziehung zeich­net. Amanda ist die Sonne, um die sich Anna dre­hen soll, es darf kei­ne Sonne neben Amanda geben. Und wenn Anna mal nicht macht oder sich nicht ver­hält, wie sie soll, gibts eine Strafe für sie, fie­se Bemerkungen zum Beispiel oder Amanda igno­riert sie, ist auf ein­mal dicke mit ande­ren Mädchen, über die sie vor­her noch geläs­tert hat.

Anna ist abhän­gig von Amanda, sie hat einen Amanda-Filter, mit dem sie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler betrach­tet, bloß Samuel sieht sie mit eige­nen Augen, ihn will sie sich nicht madig machen las­sen von Amanda. Was schwer ist, da Amanda eine Meisterin der Manipulation ist und nach jah­re­lan­ger soge­nann­ter Freundschaft weiß, wie Anna „funk­tio­niert“. Dennoch schiebt Samuel, die Beziehung zu ihm etwas bei Anna an, ein lang­sa­mes, müh­sa­mes Loslösen von Amanda. Wobei die Liebesgeschichte zwi­schen Samuel und Anna auch kei­ne hell­blaue mit Schäfchenwolken ist, son­dern durch­aus eine mit Störeffekten. Die Szene, in der Samuel zum ers­ten Mal Kontakt zu Anna auf­nimmt, ist der­ma­ßen unaus­ge­wo­gen, dass für mich die wei­te­re Entwicklung zwi­schen den bei­den einen scha­len Beigeschmack hat­te. Die Beziehung zwi­schen Anna und Amanda ist also nicht das ein­zi­ge Problemfeld, auch die zwi­schen Anna und Samuel ist kei­ne hol­ly­wood­mä­ßi­ge Lovestory, und das fin­de ich gut.

Auch mit der Mutter gibts Reibereien, wie das mit Eltern oft so ist, will die Mutter ihrer Tochter das ein oder ande­re vor­schrei­ben, als wüss­te sie, was bes­ser für sie ist. Die Mutter-Tochter-Beziehung ist aber eine auf Augenhöhe, Eltern müs­sen eben auch erst mal ler­nen, dass ihre Kinder erwach­sen wer­den und eige­ne Entscheidungen tref­fen kön­nen und wol­len. Und dann ist da noch Annas Opa, der ihr enorm wich­tig ist. Seit er nicht mehr gesund und stark ist, hat sie jedoch eine Scheu davor ent­wi­ckelt, ihn zu besu­chen, in die­ser Beziehung macht sie eben­falls eine Entwicklung durch. Zu vie­le Beziehungen und Probleme für ein Buch mit nicht ganz 200 Seiten? Nö, gar nicht, son­dern ein­fach näher am Leben dran, in dem geht es ja auch eher kom­plex zu.

Das Buch ist aus dem Norwegischen ins Deutsche über­setzt, es hat sei­nen ganz eige­nen Stil. Manchmal eine Spur zu alt­mo­disch, wie ich fin­de, man kann das ein­fach lesen und hin­neh­men oder sich mal fra­gen, ob Fünfzehnjährige wirk­lich so reden. Bei Übersetzungen wüss­te ich dann immer gern, wie das wohl im Original ist, ver­glei­chen kann ich es in die­sem Fall nicht. Aber das ist nur eine Kleinigkeit, die nichts dar­an ändert, dass das Buch sehr lesen­wert ist und auch Anstoß sein kann zu schau­en, ob es im eige­nen Leben mani­pu­la­ti­ve Beziehungen gibt. Das muss ja längst nicht so extrem sein wie im Buch. Ein Buch, das so etwas leis­tet und zwar ohne irgend­ei­ne Moral- oder sons­ti­ge Keule zu schwin­gen, das fes­selt und die Spannung bis zum Schluss hält, ist kei­ne Selbstverständlichkeit, also Hut ab vor der Autorin!

Kathrine Nedrejord: Lass mich!
Aus dem Norwegischen von Holger Wolandt (Originaltitel: „Slepp meg“)
199 Seiten
ab 14 Jahren
2019 Urachhaus
ISBN 978–3‑8251–5219‑2
17 Euro